Little Richard auf dem Forty Acres Festival der Universität Texas 2007

Little Richard (* 5. Dezember 1932 in Macon, Georgia, als Richard Wayne Penniman;9. Mai 2020 in Tullahoma, Tennessee) war ein amerikanischer Rock-’n’-Roll-Sänger, -Pianist und -Songwriter. Während der erfolgreichsten Phase seiner Karriere bei Specialty Records Mitte der 1950er Jahre kombinierte der afroamerikanische Musiker Stilelemente aus Blues, Gospel sowie Rhythm and Blues unter der neuen Genrebezeichnung „Rock ’n’ Roll“ und überführte sie damit in den musikalischen Mainstream. Nach hohen Platzierungen in den von schwarzen Interpreten dominierten Rhythm-and-Blues-Charts gelang ihm das Crossover in den genreunabhängigen amerikanischen Popmarkt. Sein schnelles und kraftvolles Pianospiel, sein lauter und überdrehter Gesang sowie seine energiereichen Konzerte inspirierten viele namhafte Musiker.

Nach einem mehrjährigen Rückzug für religiöse Studien begann Little Richard in den 1960er Jahren ein Comeback, für das er seinen Sound in Richtung Soul und Funk weiterentwickelte. Ohne an frühere Verkaufserfolge anknüpfen zu können, steigerte er die Extravaganz seiner Bühnenauftritte durch Selbstinszenierung und Elemente der Travestie. Seit den 1980ern stand Little Richard nur noch sporadisch im Aufnahmestudio oder auf der Bühne. Aufgrund seiner genreprägenden und vielgecoverten Songs und deren Charterfolge gehört Little Richard zu den Wegbereitern und Hauptvertretern des Rock ’n’ Roll, weshalb er 1986 als einer der ersten Musiker in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde.

Leben

Kindheit, Jugend und erste Aufnahmen (1932–1955): Rhythm and Blues

Richard Wayne Penniman wurde am 5. Dezember 1932 in Macon im US-Bundesstaat Georgia als drittes Kind von Leava Mae und Charles „Bud“ Penniman geboren. Er wuchs zusammen mit sieben Brüdern und fünf Schwestern auf.[1] In der Familie erhielt er aufgrund seiner damaligen Körpergröße den Spitznamen „Little“ („kleiner“) Richard.[2] Bud Penniman sorgte als Klubbesitzer unter anderem durch den Handel mit schwarzgebranntem Schnaps für ein bescheidenes Auskommen der Familie. Als häufiger Besucher von Gottesdiensten der örtlichen Pfingstkirche sowie der baptistischen und methodistischen Gemeinden entwickelte Little Richard eine Vorliebe für Gospelmusik, die er als Mitglied der Gruppe The Tiny Tots bei Auftritten in den Kirchen und in den Straßen von Macon und Umgebung aufführte. Dabei entstand sein Wunsch, Priester zu werden. Bei einem Konzert von Sister Rosetta Tharpe im Macon City Auditorium hatte der junge Sänger einen Gastauftritt, der vom Publikum wohlwollend aufgenommen wurde.[1] Bereits als Heranwachsender verspürte Little Richard homosexuelle Neigungen, die in seinem familiären Umfeld auf Spott und bei seinem Vater auf Ablehnung stießen.[1]

Da er sein Elternhaus als beengend empfand, verließ er mit 14 Jahren die Highschool und schloss sich mehreren Vaudeville- und Medicine-Shows an, bei denen er seine Erfahrungen als Sänger vertiefen und an seiner Bühnenpräsenz arbeiten konnte. So trug er seine Haare als mächtige Pompadour-Frisur und nahm seinen Spitznamen „Little Richard“ als Künstlernamen an. Schließlich erhielt er um 1951 in Atlanta, einem Zentrum der damaligen Rhythm-and-Blues-Szene, ein Engagement beim Jump-Blues-Sänger Billy Wright, aus dessen Show er Travestie-Elemente wie Frauenkostüme und Make-up übernahm. Wright vermittelte ihm auch einen Studiotermin für erste Blues-Aufnahmen bei RCA Records.[3] Wieder in Macon, freundete sich Little Richard mit dem Rhythm-and-Blues-Musiker Esquerita an, der ihm das besonders „wilde“ Klavierspielen beibrachte.[3] Mit der RCA-Single Every Hour hatte Little Richard 1952 einen ersten regionalen Radiohit. Das versöhnte ihn mit seinem Vater, der kurz darauf bei einer Schießerei vor dessen Klub ums Leben kam. Little Richard nahm daraufhin eine Arbeit als Tellerwäscher im Restaurant der örtlichen Greyhound-Busstation an, um die Familie zu unterstützen. Die unbefriedigende und gering bezahlte Arbeit veranlasste ihn, sich professionell der Musik zu widmen und kommerziellen Erfolg anzustreben.

Mit der neu formierten Band The Tempo Toppers spielte Little Richard in Klubs der Südstaaten und erlernte in New Orleans von Earl King den typischen kreolischen Bluesstil. 1953 entdeckte der Produzent Johnny Otis in Houston die Gruppe und deren Frontmann, der sich als „King and Queen“ („König und Königin“) des Blues vermarktete, und ermöglichte die nächsten Aufnahmen bei Peacock Records. Die Zusammenarbeit, aus der neben Directly from My Heart to You nur noch wenige Blues- und Gospel-Nummern hervorgingen, war nicht frei von Konflikten. So schlug sich Little Richard im Streit um Tantiemen mit dem Besitzer des Labels Don Robey.[4] Nach einiger Zeit als Solokünstler stellte Little Richard aus dem Schlagzeuger Charles „Chuck“ Connor und dem Saxophonisten Wilbert „Lee Diamond“ Smith den Kern seiner zukünftigen Liveband The Upsetters zusammen. Die anschließenden Tourneen durch Kentucky, Georgia und Tennessee kamen mit einem gegenüber den Tempo Toppers deutlich härteren Rhythm-and-Blues-Programm, darunter auch einer frühen Version von Little Richards Komposition Tutti Frutti, beim Publikum ausgesprochen gut an.[5]

Durchbruch und Karriere-Höhepunkt (1955–1957): Rock ’n’ Roll

Little Richards Good Golly, Miss Molly auf Specialty 624

Auf Anraten des Sängers Lloyd Price sandte Little Richard im Frühjahr 1955 ein Demotape an Art Rupe, den Chef des kalifornischen Independent-Labels Specialty Records in Los Angeles. Dessen A&R-Manager und Produzent Bumps Blackwell ließ sich durch Little Richards hartnäckige telefonische Nachfragen zu einer ersten Aufnahmesession im J&M Recording Studio von Cosimo Matassa in New Orleans überreden. Er buchte hierfür mit Earl Palmer am Schlagzeug, Lee Allen und Alvin „Red“ Tyler an den Saxophonen sowie Frank Fields am Bass dessen renommierte Studioband. In dieser Konstellation und mit wechselnden Gitarristen entstanden in den kommenden zwei Jahren in fünf Studiosessions Little Richards größte Hits und Verkaufserfolge, darunter Tutti Frutti, Long Tall Sally, Ready Teddy, Rip It Up, Good Golly Miss Molly, Jenny Jenny und The Girl Can’t Help It. Für drei Aufnahmetermine ging Little Richard in Kalifornien ins Studio, wobei er einmal von Guitar Slims Band unter der Leitung von Lloyd Lambert und zweimal von den Upsetters begleitet wurde. Seine Liveband ist auch auf Einspielungen aus Washington zu hören, die während einer Konzertreise entstanden.[6]

Für Specialty nahm Little Richard von 1955 bis 1957 Material für knapp 20 Singles, sechs EPs sowie die drei Alben Here’s Little Richard, Little Richard und The Fabulous Little Richard auf.[7] Er erarbeitete sich seinen Erfolg, indem er mit den Upsetters auf ausgedehnte Konzertreisen ging und seine Lieder bei Kurzauftritten in Musikfilmen promoten ließ. Mit dem Vertrag bei Specialty Records war Little Richard unzufrieden, da durch die Vermarktung der Musikstücke durch den labeleigenen Musikverlag Venice Music der Großteil der Einnahmen bei Art Rupe verblieb. Diese Übervorteilung förderte den baldigen Bruch der Zusammenarbeit mit Specialty Records.[8]

Berufung zum Prediger (1957–1964): Gospel

Ende September 1957 flog Little Richard an der Seite Eddie Cochrans und Gene Vincents für eine vierzehntägige Tournee nach Australien. Während des Fluges interpretierte er die Propellertriebwerke, die wegen der Hitze an den Tragflächen vor dem Nachthimmel leuchteten, als Engel. Bei einem Konzerttermin in Sydney beobachtete er am 4. Oktober den gerade gestarteten Satelliten Sputnik 1, den er auf seinem Weg in den Orbit als Feuerball wahrnahm. Diese Erlebnisse verstand er als Warnungen Gottes, und er beschloss, sein unstetes Leben als Rock-’n’-Roll-Musiker zu beenden und Priester zu werden. Gegenüber seinem Umfeld und seinen Anhängern, die mit Unverständnis reagierten, begründete Little Richard seinen Rückzug mit seinem bisherigen lasterhaften und ausschweifenden Lebensstil, der sich nicht mit seiner religiösen Überzeugung vertrüge.[8]

Little Richard begann in verschiedenen Kirchen der Erweckungsbewegung zu predigen und trat im Herbst 1958 eine dreieinhalbjährige theologische Ausbildung bei den Siebenten-Tags-Adventisten im Oakwood Bible College in Huntsville, Alabama an. Die Kirchenleitung schätzte die Popularität Little Richards sowie seine Fähigkeit, andere zu begeistern, und tolerierte das Aufsehen, das er durch sein extrovertiertes Erscheinen auf dem Campus verursachte, genauso wie die häufigen Verstöße gegen die Schulordnung.[9] Die im Juli 1959 geschlossene Ehe mit der Sekretärin Ernestine Campbell aus Washington, D.C. wurde 1964 geschieden. Zum einen störte sich seine Frau an der Öffentlichkeit, die Little Richards Prominenz mit sich brachte, zum anderen räumte er im Rückblick ein, dass er sich aufgrund seiner homosexuellen Orientierung nicht ausreichend um die Ehe bemüht habe.[9]

Little Richard vollzog diese Wende in seiner Karriere auch musikalisch, indem er sich nun vornehmlich dem Gospelstil widmete. Für George Goldners Plattenlabel End Records nahm Richard Mitte 1959 mehrere Gospelsongs auf, die im Albenformat als Pray Along With Little Richard Vol. 1 und Vol. 2 bei der assoziierten Plattenfirma Golddisc Records erschienen. Bumps Blackwell, der zwischenzeitlich zu Mercury Records gewechselt war, konnte Richard 1961 für einige Studiotermine gewinnen. Die Aufnahmen entstanden unter der Orchesterleitung von Quincy Jones und wurden als LP It’s Real und später als Little Richard. King of Gospel Singers veröffentlicht. Während weitere Einspielungen von religiösen Liedern für Atlantic Records wenig erfolgreich blieben, vermarktete Specialty Records nach und nach alle Aufnahmen von Little Richard aus den eigenen Archiven, darunter die seinerzeit für zu schwach befundenen frühen Bluesnummern, und konnte so bis 1960 regelmäßig Platten mit Originalmaterial veröffentlichen.[7]

Der englische Musikpromoter Don Arden lud Little Richard zu einer England-Tournee mit dessen ehemaligem Specialty-Kollegen Sam Cooke ein, der inzwischen im Pop-Genre sehr erfolgreich war. Arden verschwieg einerseits gegenüber Little Richard, dass das europäische Publikum dessen Gospel-Platten weitgehend ignorierte, andererseits machte er die britischen Fans glauben, der Musiker sei für eine Rock-’n’-Roll-Tour gebucht. Als dieser zu seiner ersten Show im Oktober 1962 mit Unterstützung des jungen Organisten Billy Preston begann, spirituelle Lieder wie I Believe und Peace in the Valley zu spielen, reagierte das Publikum enttäuscht und unwillig. Daher organisierte Little Richard mit den Begleitmusikern ein spontanes Rock-’n’-Roll-Comeback, das so enthusiastisch gefeiert wurde, dass er die folgende Tour ganz im alten Genre und in altbekannter Inszenierung durchzog. Brian Epstein, der damalige Manager der Band The Beatles, vereinbarte daraufhin mit der Band und Little Richard einige gemeinsame Konzerte in Nordengland, darunter im Oktober 1962 New Brighton, Merseyside, wo bei der NEMS-Enterprises-Veranstaltung auch The Big Three (britische Band). The Coasters, Billy J. Kramer & the Dakotas, Lee Curtis and the All-Stars, The Merseybeats, Rory Storm & the Hurricanes und The Undertakers auftraten,[10] sowie eine anschließende Tour durch Hamburger Clubs.[11]

Bei einer zweiten England-Tournee Mitte 1963, zu der Don Arden neben Little Richard die Everly Brothers und Bo Diddley buchte, standen die noch nahezu unbekannten Rolling Stones auf derselben Bühne. In der amerikanischen Heimat blieb seine Abkehr von der Musik und der Lebensführung eines Geistlichen zunächst unbemerkt. Die Sehnsucht nach dem Leben als Rock-’n’-Roll-Star und die Verdienstmöglichkeiten, die ihm durch die aufkommenden Erfolge der Beatles in Amerika vor Augen geführt wurden, besiegelten seinen Entschluss, zur Rockmusik zurückzukehren.[11]

Comeback (1964–1977): Soul und Funk

Mit Bama Lama Bama Loo startete Little Richard sein Studio-Comeback bei seinem alten Label Specialty Records, das speziell zu diesem Anlass wiedereröffnet wurde. Er versuchte dabei, seinen ursprünglich von Bläsern dominierten Rock-’n’-Roll-Sound zugunsten eines modernen Gitarren-Arrangements zu modifizieren. Die Single erreichte in den Billboard-Charts den 82. Platz.[11] Die Entscheidung, sich auch in den USA wieder der Öffentlichkeit als „King of Rock ’n’ Roll“ zu präsentieren, kam offenbar zu einem ungünstigen Zeitpunkt, da sich der Musikgeschmack Mitte der 1960er Jahre bereits geändert hatte: Der Rock ’n’ Roll des vergangenen Jahrzehnts war im Begriff, von der British Invasion verdrängt zu werden, deren Hauptvertreter stark von Little Richards Werk und Stil beeinflusst worden waren.[12] Little Richard betrieb daher einigen Aufwand, um an die alten Erfolge anzuknüpfen. Er engagierte seinen ehemaligen Mentor Bumps Blackwell als Manager, erweiterte seine Liveband The Upsetters um Statisten für eine aufwändige Bühnenshow, die als Crown Jewels and the Royal Guard firmierte, und tourte intensiv in den USA. Seine Konzerte waren in der Phase seines Comebacks hinsichtlich der Showeinlagen und des Spiels mit Rollen und Klischees unterschiedlicher sexueller Ausrichtungen von einer bis ins Groteske reichenden Opulenz und Selbstdarstellung gekennzeichnet.[13]

Die zweite Station seines Comebacks war nach Specialty Records das Blues-Label Vee-Jay Records. Auf den beiden offiziellen Alben Little Richard is Back und Little Richard’s Greatest Hits zeigte sich eine Weiterentwicklung des Sounds in Richtung Soul: Prominente Bläser, neben den Saxophonen nun auch eine aus Blechbläsern bestehende Horn-Sektion und die elektronische Orgel passten seine Neueinspielungen alter Specialty-Hits sowie einige neue Titel den Publikumserwartungen der 1960er Jahre an.[14] Zwischen September 1964 und Juni 1965 gehörte der noch wenig bekannte Jimi Hendrix als Helfer und Gitarrist zum Tross, wurde aber aufgrund seiner Unzuverlässigkeit[13] und Little Richards Dominanz[15] nicht lange geduldet.

Ab Ende 1965 war Little Richard für wenige, jedoch sehr ergiebige Monate bei Modern Records unter Vertrag. Wieder fand sich neben neuem Material eine Auswahl an Neueinspielungen alter Hits. Das erste Album Little Richard Sings His Greatest Hits – Recorded Live! sollte durch eingespielten Applaus eine temporeiche Live-Atmosphäre suggerieren und wagte sich mit Do You Feel It in den Funk-Sound. Das zweite Album The Wild and Frantic Little Richard vereinte entspanntere Aufnahmen einer Livesession mit solchen aus dem Studio.[16] Zusammen mit einer namentlich nicht bekannten Sängerin nahm er mit dem Jimmy-Reed-Klassiker Baby What You Want Me to Do erstmals ein Duett auf, dem bis in die 2000er Jahre hinein weitere folgten.

Zu Beginn des Jahres 1966 wechselte Little Richard zu Okeh Records in New York. Sein zweijähriger Vertrag sah weder Mitsprache in der Auswahl der Stücke noch im Arrangement vor. Als Produzent wurde sein ehemaliger Specialty-Kollege Larry Williams engagiert, für die Gitarre konnte Johnny Guitar Watson gewonnen werden. An den Kompositionen des ersten Albums The Explosive Little Richard war Little Richard nicht beteiligt.[13] Durch einen dominanten Einsatz von Trompeten und einer funkigen Rhythmusgruppe wurde die musikalische Strategie entlang dem aktuellen schwarzen Mainstream beibehalten. Für das zweite Album Little Richard’s Greatest Hits – Recorded Live! wurde ein kleines, begeistertes Publikum in das zum virtuellen Club Okeh umfunktionierte Studio des Okeh-Mutterlabels CBS Records in Los Angeles eingeladen. Der Sound der Neuaufnahmen alter Hits entsprach dem des Vorgängeralbums, hinzu kamen ein durchgehendes Rhythmus-Arrangement sowie egozentrische und euphorische Zwischenansagen des Sängers.[17] Wegen des ausbleibenden Erfolgs, für den Little Richard Larry Williams’ Motown-Sound verantwortlich machte,[13] nahm er um den Jahreswechsel 1967/1968 nur noch drei Singles für Brunswick Records auf und ließ seinen Vertrag mit Okeh auslaufen.[18]

Beginnend mit seinem Auftritt beim Toronto-Rock-and-Roll-Revival-Festival am 13. September 1969 feierte Little Richard in den Jahren 1970 bis 1972 bei Reprise Records im Zuge des Rock-’n’-Roll-Revivals den Höhepunkt seines Comebacks. Erneut mit Bumps Blackwell als Manager und Co-Produzenten neben namhaftem Personal wie Jerry Wexler, Tom Dowd, H. B. Barnum und Quincy Jones an den Studio-Mischpulten wollte er mit neuen Songs zurück zum alten Sound der 1950er Jahre. So gelangen einige kleinere Charterfolge mit Singleauskopplungen der drei programmatisch betitelten Alben The Rill Thing („Die wahre Sache“), King of Rock And Roll („König des Rock ’n’ Rolls“) und The Second Comin („Die zweite Ankunft“). Da Little Richard seinen Vertrag im August 1972 nicht verlängerte, konnte das mit Country-Musik-Elementen angereicherte vierte Album Southern Child zunächst nicht erscheinen und wurde erst im Jahr 2005 veröffentlicht.[19]

Obwohl keine der Veröffentlichungen dieser Zeit die innovative Kraft und Popularität seines Hauptwerks aus den 1950er Jahren erreichte,[20] fanden sie auch in Form vieler Wiederveröffentlichungen, Kompilationen und Bootlegs eine weltweite Käuferschaft. Chart-Platzierungen in den wichtigen Musikmärkten beiderseits des Atlantiks blieben jedoch die Ausnahme. Allerdings war Little Richard weiterhin ein Garant für ausverkaufte Konzerthallen. Er zeigte sich durch die Jahre fast täglich dem amerikanischen und europäischen Publikum, häufig in berühmten Konzerthallen oder auf Festivals an der Seite Chuck Berrys, Jerry Lee Lewis’ und Bo Diddleys. Er spielte aber auch auf denselben Bühnen mit aktuellen Größen wie Janis Joplin, John Lennon und Yoko Ono, denen er nicht selten die Schau stahl. Zur Promotion seiner Konzerte und Veröffentlichungen war Richard auch ein häufiger Gast in Fernsehshows unter anderem bei den Gastgebern Merv Griffin, Mike Douglas, Johnny Carson, Steve Allen und Dick Clark.[13]

Reprise war das letzte Plattenlabel, bei dem Little Richard für eine längere Zeit unter Vertrag stand. Es folgten einzelne Aufnahmen für die kleinen Firmen ALA Records, Greene Mountain, Manticore Records, Mainstream Records und Creole Records. Alleine eine eintägige Session für Kent Records im Januar 1973 erbrachte genug Material für das Album Right Now, das bei Kents Schwesterlabel United Records erschien und als traditionelle Reaktion auf das letzte, sich schlecht verkaufende, etwas progressivere Reprise-Album The Second Coming gelten konnte.[21] Zudem kamen neue Live-Aufnahmen seiner größten Hits für S. J. Productions in Form der Konzertdokumentation Let the Good Times Roll auf den Markt. Ab 1970 tauchte Little Richard immer wieder als Gastmusiker bei anderen Künstlern auf, darunter Jefferson Starship, Delaney & Bonnie, die James Gang, Canned Heat und Bachman Turner Overdrive.

Der zweite Rückzug (1977–1985): Gospel

Bereits im August 1972 hatte Little Richard nach einem technisch desaströsen Auftritt im Londoner Wembley-Stadion harte Kritiken von der britischen Presse bekommen. Da zudem das Rock-’n’-Roll-Revival abflaute, spielte Little Richard bei einer weiteren Tour durch England vor halbleeren Häusern. Schon die Plattenverkäufe und Chartnotizen hatten während der Zeit seines Comebacks nicht seinen Erwartungen entsprochen, sodass die Misserfolge bei den Live-Auftritten Little Richards künstlerisches Konzept und dessen wirtschaftliche Planung zusätzlich in Bedrängnis brachten. Auch gesundheitlich machten ihm die anstrengenden Konzertreisen und sein Drogenkonsum zu schaffen, sodass er mehrmals stationär behandelt werden musste. Mit dem erneuten Weggang seines langjährigen Mentors Bumps Blackwell 1974 weiteten sich die Probleme zu einer persönlichen Krise des Musikers aus.[22]

Am 1. Januar 1977 gab das neue Management bekannt, dass Little Richard zum zweiten Mal der Rockmusik entsagen und seine Tätigkeit als Prediger wiederaufnehmen wolle. Die Gründe, die Little Richard bei diesem Rückzug angab, ähnelten denen aus dem Jahr 1957: Sowohl seine sexuelle Orientierung als auch das Leben als Rock-’n’-Roll-Musiker seien unvereinbar mit seinen religiösen Überzeugungen.[23] Im Nachhineinen begründete er seine Entscheidung auch mit verschiedenen Todesfällen, darunter dem Herzinfarkt seines Bruders Horace „Tony“ Penniman und Elvis Presleys Tod im August 1977.[24] Im März 1979 veröffentlichte World Records in einer sehr kleinen Auflage[25] das Gospel-Album God’s Beautiful City.

Little Richard mit seiner Biografie (1984)

Die weiterhin regelmäßigen Auftritte in Fernsehshows nutzte Richard für Predigten und Gebete mit dem Publikum, meist musikalisch ausgestaltet durch ein oder zwei seiner Gospel-Songs. Zu Beginn der 1980er Jahre arbeitete er gemeinsam mit Bumps Blackwell und Charles „Dr. Rock“ White an seiner Biografie The Quasar of Rock, in der er sehr offen über seine persönlichen Einstellungen unter anderem zum Rock ’n’ Rol