Bob Dylan ¦ Shadows In The Night

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Veröffentlichung Shadows In The Night:

2015

Hörbeispiel(e) Shadows In The Night:




Shadows In The Night auf Wikipedia (oder andere Quellen):

Bob Dylan auf dem Azkena Rock Festival (2010)

Shadows in the Night ist das 36. Studioalbum von Bob Dylan, das Anfang 2015 als Nachfolger von Tempest von 2012 erschienen ist. Im Unterschied zu den vorangegangenen Studioalben kaprizierte sich Shadows of the Night ausschließlich auf Fremdinterpretationen aus dem Repertoire eines anderen bekannten Künstlers – Frank Sinatra. Ungeachtet Dylans unerwarteten Schwenks hin zum Repertoire des Great American Songbook und dem Crooner-Stil der 1950er Jahre sowie ungeachtet der relativ kurzen Spielzeit erhielt das Album fast durchweg gute Kritiken.

Inhalte und Hintergründe

Nach Erscheinen des hochgelobten 2012er Album Tempest hatte sich Dylans Plattenfirma, Sony-Ableger Columbia Records, vor allem auf die Pflege des Backlist-Repertoires konzentriert. 2014 erfolgten zwei Veröffentlichungen, eine erweiterte Ausgabe der Basement Tapes im Box-Format mit insgesamt 138 Tracks sowie eine größere Kompilation mit Fremdeinspielungen von Dylan-Texten.[1] Dylans Begeisterung für das Crooner-Repertoire der 1940er bis 1960er war zwar bereits anlässlich seiner Radioshows für den Satelliten-Radiosender Sirius deutlich geworden.[2] Die Entscheidung für ein Album mit Titeln aus dem Repertoire des Great American Songbooks wurde jedoch allgemein als Überraschung, beziehungsweise als Dylan-typische Eigenheit angesehen, in ihn gesetzte Erwartungen immer wieder zu konterkarrieren.

Bezüglich der Einspielung selbst entschied sich Dylan für eine kleine Begleitkombo. Kernmusiker waren seine langjährigen Tourbegleiter Tony Garnier (Bass), Charlie Sexton und Stu Kimball an den Gitarren, George G. Receli als Perkussionist sowie Donnie Herron an der Pedal-Steel-Gitarre. Als deutlich präsentes Vordergrund-Instrument ersetzte die Pedal-Steel die opulenten Orchester-Begleitungen, die für Einspielungen dieser Art von Repertoire oft typisch sind. Lediglich bei drei Titeln kam ein Bläsersatz mit zusätzlichen Musikern zum Zug: die Trompeter Daniel Fornero und Larry G. Hall, die Posaunisten Alan Kaplan, Andrew Martin und Francisco Torres sowie die Waldhorn-Instrumentalisten Dylan Hart und Joseph Meyer. Hinsichtlich des Einspielorts und des Sounds lehnte sich Dylan eng an die Original-Einspielungen von Frank Sinatra an. Aufnahmeort war das legendäre Studio B von Capitol in Hollywood.[3] Bei der Aufnahme selbst galten laut Dylan folgende Einschränkungen: keine Overdubs, keine Gesangskabinen, keine Kopfhörer und keine separaten Einzelspur-Einspielungen.[4]

Ein weiteres Detail der Aufnahmesessions waren die festen Produktionszyklen: Montag bis Freitag wurde aufgenommen, das Wochenende blieb frei.[4] Hinsichtlich der Songauswahl kaprizierte sich Dylan auf Sinatras klassische Phase als Crooner und Songbook-Interpret in den 1950er Jahren. Insgesamt spielte er mit seiner Studiocombo 23 Stücke ein; zehn davon sind auf Shadows in the Night enthalten.[3] Das Repertoire des Albums besteht vorwiegend aus unbekannteren Sinatra-Einspielungen. Lediglich Autumn Leaves sowie der Frankie-Laine-Hit That Lucky Old Sun wiesen einen gewissen Bekanntheitsgrad auf.

Bei den Stücken selbst handelte es sich fast ausnahmslos um langsame, getragene BalladenMusical-Titel, Filmtitel und sonstige Klassiker, bei denen auch Sinatra lediglich als ein Interpret von vielen in Erscheinung getreten war. Obwohl sich keine bekannten Sinatra-Titel auf dem Album befanden, waren alle Stücke oft interpretierte Songbook-Klassiker mit einer Vielzahl unterschiedlicher Einspielungen. I’m a Fool to Want You – der einzige Song der Platte, den Sinatra auch mit geschrieben hatte, war unter anderem interpretiert worden von Peggy Lee, Billie Holiday, Shirley Bassey, Tony Bennett, dem Popmusiker Elvis Costello sowie den Jazzmusikern Chet Baker und Donald Byrd. Von The Night We Called It a Day hatten unter anderem Doris Day, Chris Connor sowie Diana Krall Coverversionen gesungen. Autumn Leaves ist ein Chanson von Joseph Kosma, dessen englischer Text von Johnny Mercer stammt. Der Song war im Repertoire von Edith Piaf und Serge Gainsbourg ebenso enthalten wie in dem der US-Erstinterpretin Jo Stafford und zahlreicher Jazzgrößen.

Bei Why Try to Change Me Now und Where Are You? handelt es sich ebenfalls um zwei Titel mit reputabler Broadway-Vergangenheit. Das Gleiche gilt für Some Enchanted Evening und What'll I Do. Some Enchanted Evening, ein bekanntes Stück vom Komponisten-Duo Oscar Hammerstein und Richard Rodgers, stammt aus den Musical South Pacific. Interpreten waren unter anderem Perry Como, Bing Crosby sowie der Opern-Tenor Giorgio Tozzi. What'll I Do, ein Stück von Irving Berlin aus dem Jahr 1923 für dessen vierte Music-Box-Revue, zählte zum Repertoire vieler Künstler – etwa Pat Boone, Julie London, Pink Martini, Nancy Sinatra, Lou Rawls, Art Garfunkel sowie Georgia Gibbs. Ebenso Full Moon and Empty Arms und That Lucky Old Sun; ersteres wurde unter anderem von Erroll Garner, Sarah Vaughan, Caterina Valente sowie den Platters eingespielt, letzteres von Frankie Laine, Vaughn Monroe und seinem Orchester, Sam Cooke, den Velvets, Aretha Franklin, Willie Nelson, Ray Charles, Karel Gott, Johnny Cash sowie der Jerry Garcia Band.

Bob Dylan selbst betonte anlässlich der Veröffentlichung von Shadows in the Night, dass es ihm nicht um einfache Coverversionen gegangen sei, sondern um echte Neuinterpretationen. Der Sänger distanzierte sich sogar explizit von dem Begriff „Cover“. Dylan sagte zu seinem Projekt, es sei für ihn ein Privileg gewesen, dieses Album zu machen. Etwas in dieser Art habe er schon sehr lange umsetzen wollen. Allerdings habe er sich bislang nicht getraut, Arrangements für ein großes Orchester in Stücke für eine fünfköpfige Band zu verwandeln.[1] Verglichen mit Sinatra, stellte er sich bewusst in die zweite Reihe. An Sinatra, so Dylan, reiche niemand heran – weder er noch irgendjemand sonst.[2] In einem Interview für die Mitgliederzeitschrift des US-Seniorenverbandes AARP gab er zu, dass er das Album aus Reminiszenzgründen aufgenommen hat – als Tribut an die Musik seiner Kindheit und Jugend. Die Vielfalt der Musik während seiner Kindheit beschrieb er dabei mit folgenden Worten: „Spätnachts kamen dann auch Sender rein, die so Vorläufermusik von Rock ’n’ Roll spielten, Jimmy Reed vielleicht. In Chicago schien es einen Sender zu geben, der war auf Hillbilly-Musik spezialisiert, und aus Nashville kam vielleicht ein Fetzen aus der Grand Ole Opry durch den Äther. Ich habe jedenfalls Hank Williams noch zu seinen Lebzeiten gehört. Und dann die Staple Singers, ‚Uncloudy Day‘, Mann …“[5]

Auch bei der Promotion für das Album konzentrierten sich Dylan und Columbia auf die von dem Verband vertretenen Rentner. 50.000 der insgesamt 35 Millionen Leser der Verbandszeitschrift AARP Bulletin bekamen Shadows in the Night als Gratisbeilage zum Bulletin geschenkt.[6]

Rezeption und Kritik

Kritik und Hörer nahmen das Album überwiegend mit Wohlwollen auf. Auf der US-Webseite metacritic.com erhielt Shadows in the Night den Metascore-Wert 82 (von 100); der User-Score belief sich auf 7.1.[7] Angelsächsische Medien bewerteten die eigenwillige Form der Sinatra-Adaption großteils als gelungen. Thomas Erlewine hob in seiner Kritik bei Allmusic vor allem die eigenständige Bearbeitung des Song-Materials hervor. Dylans Stimme, so Erlewine, zeige Abnutzungsspuren. Er wisse allerdings, wie er ebendiesen Effekt optimal einsetze. In der Summe sei das Album ein Zeugnis, das unter Beweis stelle, wie sehr sich Dylan selbst in diesen alten Songs wiedererkenne.[8] Der Guardian-Musikkritiker Alexis Pedridis charakterisierte das Projekt als ein Wagnis, das gelungen sei. Viele Künstler, so Pedridis, wichen nur zu Überbrückungszwecken auf das Repertoire des Great American Songbook aus. Bei Shadows in the Night hingegen wirke die Adaption des alten Liedmaterials wie aus einem Stück.[9]

Auch deutschsprachige Medien bewerteten Dylans Sinatra-Album überwiegend positiv. Ähnlich wie bei anderen Dylan-Studioalben veröffentlichten über die üblichen Popmusik-Periodika hinaus fast alle großen Magazine, Wochen- und Tageszeitungen eine Rezension des Albums, wobei die einzelnen Besprechungen unterschiedliche Akzente setzten. Hervorgehoben wurde unter anderem Dylans Vorliebe, altbekannte Erwartungen nicht zu erfüllen. Andreas Borcholte etwa zog im Spiegel eine Parallele zu Dylans Endsechziger Album Self Portrait. Ähnlich wie damals stutze sich Dylan auch diesmal freiwillig auf Normalmaß zurück. Borcholte: „Heute ist Dylan wohl eine noch größere Ikone als damals, wenn nicht längst sakrosankt. Also stellt er sich in den Schatten desjenigen, der auf einem noch höheren Sockel steht. Sinatra also, klar. Anders als Elvis Presley, der dritte im Bunde der großen Pop-Erneuerer, hat der nie einen Song von Dylan gecovert.“[2]

Eine ähnliche Parallele zog auch Rüdiger Dannemann in der Wochenzeitung Freitag. Dannemann verglich Shadows in the Night mit Nashville Skyline und hob einerseits Dylans Abkehr von Folk, Rock und Americana, andererseits die Unterschiede zwischen Dylan und Sinatra hervor: „Warum nicht Woody Guthrie, Phil Ochs oder Blind Willie McTell? Auf seinem 36. Album nähert sich Bob Dylan unerwartet respektvoll Frank Sinatra. Zwei Welten begegnen sich: Hier der Sänger des Protests mit der Stimme eines ‚Kojoten im Stacheldraht‘, der über die Herren des Kriegs ebenso bösartig-schön tönen kann wie über die romantische Liebe. Dort der singende und schauspielernde Entertainer mit Whiskey und Zigarette, ‚The Voice‘ mit dem Hang zur Perfektion.“[10]

Maik Brüggemeier kehrte in der deutschsprachigen Ausgabe des Rolling Stone ebenfalls den Abstand zwischen Interpret und gewähltem Songmaterial hervor. Brüggemeier: „Sinatra und Dylan – eine interessante Konstellation. Zwei Einwandererkinder, die zu amerikanischen Archetypen wurden, der Star und der Hobo, der Crooner und der Songwriter, beide Trickser, Spieler, Song-and-Dance Men; der eine Stimme, der andere Bauchredner des amerikanischen Songs und unter verschiedenen Vorzeichen zwei der größten Sänger des 20. Jahrhunderts.“ Fazit der Besprechung: „Dylan nimmt den Liedern die Schminke und die Abendkleider ab, zeigt sie im Licht der blauen Stunde nackt, verletzlich und in der Schönheit ihres Alters.“[11]

Andere Kritiken hoben hervor, dass Shadows in the Night ein Album sei, das sich explizit an die ältere Generation richte. Oliver Rustemeyer verwendete in seiner Albumbeschreibung bei WDR 2 eine Bildsprache, die stark Bezug nahm auf Gemälde von Edward Hopper.[6] Eine Wertung mit ähnlicher Richtung war in dem Wochenmagazin Focus zu lesen.[12] Ein weiterer Aspekt, den mehrere Albumkritiken hervorhoben, war die behutsame Instrumentierung mit kleiner Combo sowie Dylans Gesang. Ulrich Rüdenauer in der tageszeitung: „Nicht nur, dass Dylan singt, als hätte er die Stimmbänder ein bisschen abhobeln und mit Kreide behandeln lassen, geradezu sanft wispert er manchmal, wenn auch zuweilen bei langgezogenen Tönen recht wackelig.“[13] Ähnlich urteilten Jacqueline Krause-Blouin im Musikmagazin Spex sowie Rezensentin Sylvia Staude in der Frankfurter Rundschau. Krause-Blouin hob die sparsame musikalische Begleitung sowie den Einsatz einer Pedal-Steel-Gitarre als tragendes Instrument positiv hervor.[14] FR-Rezensentin Staude lobte die klare, deutliche Intonation und fragte provokativ: „Hat er plötzlich Singen gelernt?“[3]

Obwohl die positiven Kritiken deutlich überwogen, bekam Shadows in the Night auch einige schlechtere ab. Karl Bruckmaier in der Süddeutschen Zeitung fand, Dylan glaube offensichtlich, wenn er Sinatra-Songs „(…) mit seiner kaputten Altmännerstimme intoniert und die Band ohne Schlagzeug und Klavier eine Art Western-Version dieser urbanen Befindlichkeitsmusik anstimmt, dass er sich diese Songs zu eigen machen kann.“ Buckmeiers Fazit: Das Great American Songbook halte auch Dylans Versionen unbeschädigt aus.[5] Das Wochenmagazin Stern stellte Shadows in the Night als Zwischenschritt hin vor dem nächsten Meisterwerk – eventuell sogar als übler Fehltritt, der sich nur durch mehrfachen Konsum des Vorgängeralbums Tempest heilen lasse.[15] Zu einem diametral entgegengesetzten Schluss kam die Welt. Dylan, so das Fazit von Rezensent Michael Pilz, habe einfach den Mut besessen, ein Album ganz für sich allein aufzunehmen.[16]

Titelliste

  1. I'm a Fool to Want You – 4:51 (Frank Sinatra, Jack Wolf, Joel Herron)
  2. The Night We Called It a Day – 3:24 (Matt Dennis, Tom Adair)
  3. Stay with Me – 2:56 (Jerome Moross, Carolyn Leigh)
  4. Autumn Leaves – 3:02 (Joseph Kosma, Jacques Prévert (französisch), Johnny Mercer (englisch))
  5. Why Try to Change Me Now – 3:38 (Cy Coleman, Joseph McCarthy)
  6. Some Enchanted Evening – 3:28 (Oscar Hammerstein II, Richard Rodgers)
  7. Full Moon and Empty Arms – 3:26 (Buddy Kaye, Ted Mossman, Sergei Rachmaninoff)
  8. Where Are You? – 3:37 (Harold Adamson, Jimmy McHugh)
  9. What'll I Do – 3:21 (Irving Berlin)
  10. That Lucky Old Sun – 3:39 (Haven Gillespie, Beasley Smith)

Einzelnachweise

  1. a b Bob Dylan gedenkt Frank Sinatra: Coveralbum Shadows in the Night erscheint Januar 2015, Musikexpress, aufgerufen am 8. Februar 2015
  2. a b c Bob Dylan covert Sinatra: Das Sandpapier singt, Andreas Borcholte, Spiegel Online, 30. Januar 0215
  3. a b c Bob Dylan singt Sinatra-Songs, Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau, 2. Februar 2015
  4. a b Sinatra-Album von Bob Dylan: Lasst fette Männer um mich sein, Christoph Dallach, Spiegel Online, 16. Januar 2015
  5. a b Schmalzgebackenes aus der Kinderzeit, Karl Bruckmeier, Süddeutsche Zeitung, 30. Januar 2015
  6. a b Bob Dylan – Shadows in the Night (Memento vom 8. Februar 2015 im Internet Archive), Oliver Rustemeyer, WDR 2, 30. Januar 2015
  7. Shadows in the Night – Bob Dylan, metacritic.com, abgerufen am 8. Februar 2015
  8. Bob Dylan – Shadows in the Night, Thomas Erlewine, Allmusic.com, abgerufen am 8. Februar 2015 (engl.)
  9. Bob Dylan: Shadows in the Night review – an unalloyed pleasure, Alexis Pedridis, The Guardian, 29. Januar 2015 (engl.)
  10. Der Kojote trägt Smoking, Rüdiger Dannemann, Der Freitag, 6. Februar 2015
  11. Bobs blaueste Stunde: Bob Dylan – Shadows in the Night, Maik Brüggemeyer, Rolling Stone, 30. Januar 2015
  12. Der geheime Crooner: Bob Dylan singt Frank Sinatra, Focus, 31. Januar 2015
  13. Neues Album von Bob Dylan: Der Nichtsänger zeigt Respekt, Ulrich Rüdenauer, tageszeitung, 29. Januar 2015
  14. Bob Dylan – Shadows in the Night (Memento vom 8. Februar 2015 im Internet Archive), Jacqueline Krause-Blouin, Spex, 29. Januar 2015
  15. Neues Album „Shadows of The Night“: Bob Dylan erweist Sinatra die Ehre, Werner Herpell, stern.de, 29. Januar 2015
  16. Neues Album: Wer Fans hat wie Bob Dylan, braucht keine Feinde, Michael Pilz, Die Welt, 30. Januar 2015

Weblinks

Artist(s)

Veröffentlichungen von Bob Dylan die im OTRS erhältlich sind/waren:

“Love And Theft” ¦ The Freewheelin’ Bob Dylan ¦ The Basement Tapes ¦ The Times They Are A-Changin’ ¦ Pure Dylan ¦ Real Live ¦ Infidels ¦ Under The Red Sky ¦ Bob Dylan’s Greatest Hits ¦ Bringing It All Back Home ¦ Desire ¦ Before The Flood ¦ New Morning ¦ Bob Dylan ¦ Saved ¦ Shot of Love ¦ The Essential Bob Dylan ¦ Nashville Skyline ¦ Hard Rain ¦ OST Pat Garrett & Billy The Kid ¦ Dylan & The Dead ¦ Modern Times ¦ John Wesley Harding ¦ In Concert: Brandeis University 1963 ¦ The Real Royal Albert Hall 1966 Concert! ¦ Tempest ¦ Time Out Of Mind ¦ Shadows In The Night ¦ 1970 ¦ Highway 61 Revisited ¦ The Bootleg Series Vol. 14: More Blood, More Tracks ¦ Blood On The Tracks ¦ Blind Willie McTell ¦ The Bootleg Series Vol. 16: Springtime In New York 1980-1985 ¦ Bob Dylan At Budokan ¦ Blonde On Blonde ¦ Street-Legal ¦ Shadow Kingdom ¦ Another Budokan 1978 ¦ Mixing Up The Medicine / A Retrospective ¦ Slow Train Coming

Bob Dylan auf Wikipedia (oder andere Quellen):

Bob Dylan (2010)

Bob Dylan (* 24. Mai 1941 als Robert Allen Zimmerman in Duluth, Minnesota) ist ein US-amerikanischer Singer-Songwriter und Lyriker. Er spielt Gitarre, Mundharmonika, Orgel und Klavier. Nach ersten Erfolgen mit Folk wandte er sich Mitte der 1960er Jahre der Rockmusik zu, schöpfte aber im Lauf seiner Karriere auch aus anderen Musiktraditionen wie Country, Blues, Gospel und dem Great American Songbook. Er gilt als einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts.[1]

Dylans Texte im Verbund mit der musikalischen Darbietung und Aufführungspraxis zeichnen sich durch vielschichtige Bezugsebenen aus, in denen Hoch- und Populärkultur aufeinandertreffen. 2016 erhielt er „für seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition“[2] als erster Musiker den Nobelpreis für Literatur. Daneben betätigt er sich auch als Zeichner, Maler und Bildhauer.

Leben

Kindheit und Jugend

Dylans Elternhaus in Hibbing (7th Avenue East, No. 2425)[3]
Das Hauptgebäude der Hibbing High School

Robert „Bob“ Zimmerman wurde am 24. Mai 1941 im St. Mary’s Hospital in Duluth, Minnesota, geboren[4] und ist der älteste Sohn einer liberalen jüdischen Familie.[5] Seine Eltern Abraham „Abe“ Zimmerman (1911–1968) und Beatrice „Beatty“ Stone (1915–2000) waren die Nachfahren türkisch-,[6][7] litauisch-[8] und ukrainisch-jüdischer Immigranten, die 1902 bzw. 1905 aus Odessa in die Vereinigten Staaten eingewandert waren und sich im Mittleren Westen niedergelassen hatten.[9]

Nachdem Vater „Abe“ an Kinderlähmung erkrankte, verlor er seine Stelle als leitender Angestellter der American Oil Company und mit der Geburt des zweiten Sohnes David Benjamin (* 1946) geriet die Familie in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Um einer drohenden Verarmung zu entgehen, entschlossen sich die Zimmermans zu einem Ortswechsel und zogen 1947 zu den Großeltern mütterlicherseits nach Hibbing. Der Vater stieg nach seiner Genesung in den Elektro- und Haushaltswarenladen seiner beiden Brüder ein. Wenn die Kunden ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten, übertrug Abraham seinem ältesten Sohn gelegentlich die ungeliebte Aufgabe, die Ware wieder zurückzuholen.[10]

Die Kleinstadt Hibbing liegt im Norden Minnesotas auf der Mesabi Iron Range, eine Gegend, die durch den intensiven Tagebau und die Hull-Rust-Mahoning-Mine dominiert wird. Die karge Landschaft prägte den jungen Robert:

„Flüsse, Wälder, endlose Weiten, es ist eine raue Gegend, die mich wild und einsam werden ließ. Im Winter war es acht Monate lang vollkommen still. Ich habe halluzinogene Erfahrungen gemacht, wenn ich nur aus dem Fenster blickte.“

Bob Dylan, Chronicles[11]

Die Familie bezog ein Haus in einer ruhigen Wohngegend der Mittelschicht und Robert („Bobby“) erlebte eine normale Kindheit in geordneten Verhältnissen.[12][13] Der introvertierte Junge war ein passionierter Radiohörer, der schon früh eine Vorliebe für Musik erkennen ließ. Zuerst zogen ihn die Country- und Rhythm-and-Blues-Sender aus dem Süden an, dann als Teenager hauptsächlich der populäre Rock ’n’ Roll. Die Eltern förderten die Musikbegeisterung ihres Sohnes, der als Zehnjähriger unter Anleitung eines Cousins mit dem Klavierspiel begann, bevor er zur Gitarre wechselte. Das Instrument brachte er sich selbst bei. Robert spielte die Standards seiner ersten musikalischen Vorbilder wie Hank Williams, Muddy Waters, Howlin’ Wolf, Chuck Berry und Elvis Presley nach. Besonderen Eindruck hinterließen die frühen Stücke von Elvis Presley, dessen Version von Blue Moon of Kentucky er sich beibrachte und noch bis 1999 auf Konzerten spielte. Neben der Musik galt sein Interesse der Literatur und schon als Jugendlicher begeisterte er sich für die Werke des Autors John Steinbeck (v. a. Früchte des Zorns). Er selbst schrieb auch eigene Gedichte.[14]

„Ich wollte immer schon Gitarrist und Sänger sein. Seit ich zehn, elf oder zwölf war, war dies das einzige, was mich interessierte … Henrietta war die erste Rock-’n’-Roll-Platte, die ich hörte.“

Bob Dylan[15]

Als Schüler an der Hibbing High School traf Robert („Zimmy“) auf Gleichgesinnte und war Mitglied der Gesangsgruppe The Jokers. 1956 gründete er mit zwei Schulfreunden The Golden Chords, die in der elterlichen Garage die Stücke bekannter Musiker nachspielten. Angetrieben durch die Ablehnung der in Hibbing herrschenden Konformität imitierte Robert seine musikalischen Vorbilder und begann mit seiner Formation bei Talentwettbewerben oder Schulfesten erste Live-Erfahrungen zu sammeln.[16] Mit ihren rohen und ungeschliffenen Rock-’n’-Roll-Coverversionen hatten die Golden Chords bei den Gleichaltrigen der Stadt Erfolg.[17]

Am 31. Januar 1959 besuchte er in Duluth ein Konzert von Buddy Holly, der drei Tage später bei einem Flugzeugabsturz das Leben verlor.[18] Das Ereignis schilderte er als lebensverändernd, da sich sein Karriereplan, selbst ein Rock-’n’-Roll-Star zu werden, immer deutlicher darstellte.[19] Nach dem High-School-Abschluss schrieb Robert Zimmerman ins Jahrbuch, er würde die Schule verlassen, um Little Richard zu folgen.[20]

Tatsächlich wollte der ungeduldige 18-Jährige die provinzielle Enge seiner ländlichen Heimat verlassen und zeigte keine Neigung, in das Familiengeschäft einzusteigen.[21] Als er im Sommer 1959 einige Wochen einem Gelegenheitsjob als Aushilfskellner in Fargo nachging, freundete er sich mit dem Rock ’n’ Roller Bobby Vee an. Dieser konnte bereits lokale Erfolge vorweisen, und unter dem Pseudonym Elston Gunn absolvierte Robert zwei Auftritte als Pianist in dessen Begleitband The Shadows.[22] Da sich die Gruppe jedoch weder ein eigenes Klavier noch ein neues Bandmitglied leisten konnte, war das Engagement nur von kurzer Dauer.[23]

Entdeckung des Folk und Wandlung zu „Bob Dylan“

Woody Guthrie, 1943

Zimmerman verließ nach eigenen Angaben sein Elternhaus in der „Wildnis“ und schrieb sich im September 1959 für ein Studium der Kunstwissenschaften an der University of Minnesota ein. In Minneapolis bezog er vorübergehend ein Zimmer im Verbindungshaus der jüdischen Studentenverbindung Sigma Alpha Mu. Als Student besuchte er allerdings kaum Lehrveranstaltungen,[24] sondern verbrachte seine Zeit lieber in den Plattenläden oder Bars des Bohème-Viertels Dinkytown.

In seiner neuen Umgebung stieg er über die Sängerin Odetta immer intensiver in die aufstrebende Folkszene ein.[25] Zimmerman verlor das Interesse an Rock ’n’ Roll und beschäftigte sich eingehend mit dem Sänger und Bürgerrechtler Woody Guthrie. Guthrie war ein Okie, der im Stil des Talking Blues (Sprechgesang) einprägsame Balladen über Armut und Dürre des Dust Bowl verfasst hatte und während der Great Depression zu einem Idol der Gewerkschaftsbewegung aufgestiegen war. Angetrieben durch seine Begeisterung für Guthries Authentizität und dessen Technik, einen Folkstandard mit eigenen Texten und veränderter Phrasierung zu modifizieren, eignete er sich diese Kunstform selbst an und imitierte sein Vorbild bis in kleinste Details.[26]

Er kombinierte Akustikgitarre und Mundharmonika mit seinem nasalen Gesang und versuchte sich selbst als Folksänger zu etablieren, indem er keine Gelegenheit ausließ, um in den Clubs der Stadt aufzutreten. Bei Open-Mic-Abenden im Künstlerlokal The Ten O’Clock Scholar hinterließ er mit seinen Guthrie-Imitationen jedoch keinen bleibenden Eindruck.[27] Im Wesentlichen bestand sein Repertoire aus Guthrie-Liedern und Standards, das er jedoch stetig um Songs von Pete Seeger, Cisco Houston, Odetta und Leadbelly erweiterte.

In dieser Phase legte er sich schließlich das Pseudonym Bob Dylan zu, dessen Entstehung er selbst immer wieder unterschiedlich begründet. So liefert Robert Shelton in seiner Biografie No Direction Home eine Rekonstruktion, nach der sich der junge Robert Zimmerman an der Figur des Matt Dillon aus der Fernsehserie Rauchende Colts orientierte, die Schreibweise aber extravagant variierte.[28] Eine andere Version besagt, dass sich der Name an den walisischen Dichter Dylan Thomas anlehnt, den er bewunderte und von dem er einige Bücher besaß. Er hat auch schon behauptet, der Name sei ihm einfach so eingefallen.[29] In seinem autobiographischen Buch Chronicles, Volume One schreibt Dylan von einer Abwandlung von „Robert Allen“ (seinen beiden Vornamen) über „Robert Allyn“ über „Robert Dylan“ schließlich zu „Bob Dylan“. Der walisische Dichter Dylan Thomas sei dabei ein mehr oder weniger zufälliger Namenspate: „Einige Zeit später stieß ich dann zufällig auf ein paar Gedichte von Dylan Thomas.“[30] Offiziell änderte Robert Zimmerman seinen Namen in Bob Dylan erst am 2. August 1962.[31]

Die Beschreibung des Lebens als Wanderarbeiter in Guthries Biografie Bound for Glory und der Roman On the Road von Jack Kerouac wurden zum Vorbild der künstlerischen Identität des jungen Bob Dylan.[32] Ihn drängte es zunehmend aus dem Mittleren Westen heraus, er begann Legenden um seine Person zu stricken und seine wahre Herkunft zu verschleiern.[33]

Um die örtliche Folkszene kennenzulernen, verbrachte er den Sommer 1960 in Denver und Central City und übernahm Jesse Fullers Technik, die Mundharmonika mit einem Nackengestell zu spielen.[34] Den mehrwöchigen Aufenthalt schmückte Dylan in seinen Erzählungen aus, indem er behauptete, auf Güterwagen durch große Teile des Landes getrampt zu sein. Dabei habe er auf einem Indianerfestival in Gallup, New Mexico, getanzt und außerdem das Grab des verstorbenen Country-Bluesmusikers Blind Lemon Jefferson in Texas besucht.

Als Dylan erfuhr, dass Guthrie wegen eines schweren Nervenleidens in New Jersey im Krankenhaus lag, beschloss er, sein Idol am Krankenbett zu besuchen.[35] Nach dem Ende seines ersten Studienjahres teilte Dylan seinen Eltern im Dezember 1960 mit, er wolle die Universität verlassen und eine Karriere als Musiker einschlagen. Diese reagierten zunächst verärgert, gaben ihrem Sohn schließlich ein Jahr Zeit. Sollte sich bis dahin kein Erfolg einstellen, müsse er sein Studium fortsetzen.

1961: Erste Erfolge als Folksänger

Über den Umweg Madison und Chicago gelangte der 19-jährige Bob Dylan am 24. Januar 1961 nach New York City und bezog ein Zimmer in Greenwich Village.[36] Der Stadtteil in Manhattan galt als das führende Künstlerviertel des Landes, und niedrige Mieten hatten das Village zum Anlaufpunkt für Amerikas Künstler und Rebellen werden lassen, zu denen sich in den 1950er Jahren die Vertreter der Beat Generation gesellten. Diese Beatniks wurden in ihren Werken zunehmend linkspolitisch und sorgten für einen steten Zustrom von Besuchern aus allen US-Bundesstaaten.

Ihre Auftritte in den sogenannten Coffeehouses waren so gut besucht, dass die Bürgersteige rund um den zentral gelegenen Washington Square Park an den Wochenenden überfüllt waren und für den Verkehr gesperrt werden mussten. Zu Beginn der 1960er Jahre ergänzte der Folk die Beatnik-Bewegung, und Musiker wie Fred Neil, Phil Ochs und Tom Paxton hatten ihre ersten Auftritte im Village. Vor diesem Hintergrund verlor Dylan sein ursprüngliches Ziel nicht aus den Augen und besuchte „seinen letzten Helden“ Woody Guthrie im Greystone Park Psychiatric Hospital. Guthrie litt an der unheilbaren Nervenkrankheit Chorea Huntington und war bettlägerig. Da eine Unterhaltung mit ihm sehr mühselig gewesen wäre, spielte Dylan ihm stattdessen Guthrie-Songs vor.

Bei zahlreichen weiteren Besuchen in den folgenden Monaten entstand zwischen dem dahinsiechenden Folksänger und dem Jungmusiker eine Freundschaft, die sich vornehmlich über Musik vermittelte.[37] Seine Bewunderung und die Eindrücke der Besuche verarbeitete er später in Song to Woody, einer seiner ersten Eigenkompositionen, und im Gedicht Last Thoughts on Woody Guthrie, das er als einziges aus seiner Feder jemals vortrug.[38][39] Er las es live während seines ersten großen Konzerts in der New Yorker Town Hall am 12. April 1963.[40][41][42]

Allmählich fasste Dylan in der New Yorker Folkszene Fuß und lernte die Musiker Dave Van Ronk, Ramblin’ Jack Elliott oder die Clancy Brothers kennen, die wie die Sängerin Odetta großen Einfluss auf ihn ausübten. Als Stammgast in Clubs wie dem Gaslight Cafe, der White Horse Tavern, dem Bitter End, Gerde's Folk City oder dem Cafe Wha? saugte er nur über das Zuhören verschiedene Stilrichtungen auf. Tagsüber verbrachte er seine Zeit in Izzy Youngs Buch- und Schallplattengeschäft Folklore Center[43] oder vertiefte sich in der New York Public Library in Zeitungsartikel aus der Zeit des Sezessionskrieges.[44]

Dylan ließ sein Umfeld glauben, er sei als Waisenjunge auf Jahrmärkten in New Mexico aufgewachsen und kultivierte das Image als proletarischer Herumtreiber.[45] Sein erstes professionelles Engagement hatte Dylan ab dem 11. April 1961 in Gerde’s Folk City, als er für zwei Wochen im Vorprogramm des Bluesmusikers John Lee Hooker spielte.[46] Trotz seines eigenwilligen Stils und seiner schnarrenden Stimme hatte Dylan weitere Erfolge in kleinen Clubs und machte als Mundharmonikaspieler erste Schallplattenaufnahmen für Harry Belafonte und Victoria Spivey. Am 29. September 1961 veröffentlichte der Musikkritiker Robert Shelton in der New York Times einen wohlwollenden Artikel, in dem er Dylan eine künstlerisch bedeutsame Zukunft vorhersagte.[47]

„Mit seinem engelhaften Gesicht und dem dichten, widerborstigen Haarschopf, den er zum Teil mit einer schwarzen Huckleberry-Finn-Cordmütze bedeckt, sieht Dylan wie eine Kreuzung aus Chorknabe und Beatnik aus. An seiner Kleidung könnte er noch arbeiten, aber wenn er mit seiner Gitarre oder Mundharmonika oder am Klavier hantiert und neue Songs schneller komponiert, als er sie sich überhaupt merken kann, gibt es keinen Zweifel daran, dass er vor Talent aus allen Nähten platzt. Wenn es um seine Herkunft und seinen Geburtsort geht, ist Mr. Dylan nicht sehr gesprächig, doch hier zählt weniger, wo er herkommt, sondern viel mehr, wo er hingeht. Und sein Weg scheint direkt nach oben zu zeigen.“

Robert Shelton, New York Times, 29. September 1961[48]

Zu einer Zeit, als die Musiker aus Greenwich Village höchstens ein Angebot des kleinen Labels Folkways Records erhielten, wurde der legendäre Jazz-Produzent John Hammond auf die Szene-Bekanntheit aufmerksam. Sehr zur Verwunderung zahlreicher Kollegen nahm er Dylan am 25. Oktober 1961 für das Major-Label Columbia Records unter Vertrag.[49] Nach den Konditionen des Fünf-Jahres-Vertrages standen dem Musiker ein kleiner Vorschuss und lediglich fünf Prozent der Einnahmen aus den Plattenverkäufen zu. Dies kümmerte Dylan aber nicht, da er froh war, überhaupt einen Plattenvertrag erhalten zu haben.

In zwei Aufnahmesessions im November 1961 spielte Dylan sein erstes Album Bob Dylan ein, das neben zwei Eigenkompositionen überwiegend aus Traditionals bestand. Obwohl sein Debütalbum weder kommerziell noch künstlerisch wirklich befriedigend war, trug es doch enorm zu Dylans Bekanntheit bei.[50] Am 4. November 1961 organisierte Izzy Young das erste öffentliche Konzert Dylans in einem Nebensaal der Carnegie Hall, das nur 52 zahlende Zuschauer besuchten.[51]

1962–1964: Idol der Protestbewegung

Dylan bei einem Auftritt im November 1963
Joan Baez und Bob Dylan auf dem Civil Rights March nach Washington D.C. am 28. August 1963

In sein Werk eingewoben sind Reverenzen auf zahlreiche Personen der amerikanischen und europäischen Musik- und Literaturgeschichte, darunter beispielsweise Hank Williams, James Joyce, Woody Guthrie, Ovid, Merle Haggard, William Shakespeare, Jerry Lee Lewis, Arthur Rimbaud, John Lennon, Homer, Billy Joe Shaver, Petrarca oder Frank Sinatra. Sowohl das in der Kombination vielfältiger Traditionslinien sehr eigenständige, erfindungsreiche Werk Dylans als auch seine rätselbehaftete Persönlichkeit führten zu einer umfangreichen kulturellen und geisteswissenschaftlichen Rezeption.

Dylans wichtigste Bezugsperson in den frühen New Yorker Jahren war seine Freundin Suze Rotolo, die er in Greenwich Village kennengelernt hatte. Rotolo war seine künstlerische Inspiration, vor allem aber weckte sie Dylans Sensibilität für gesellschaftskritische Themen.[52] Als Sekretärin der Bürgerrechtsorganisation CORE machte sie ihn mit vielen Persönlichkeiten der Bürgerrechtsbewegung bekannt und verstärkte Dylans Interesse an den Werken der französischen Symbolisten Arthur Rimbaud, Paul Verlaine und Charles Baudelaire.

Die wechselvolle Beziehung inspirierte ihn zu den sogenannten Love/Hate-Songs wie Don’t Think Twice, It’s All Right, Boots of Spanish Leather und Ballad in Plain D, mit denen er die damals übliche Form des romantisch verklärten Lovesongs um eine bittere Variante erweiterte. Ein zweiter wichtiger Orientierungspunkt in Dylans damaliger Phase wurde Albert Grossman, der ihn ab Mai 1962 offiziell als Manager betreute.[53] Grossmann war ein einflussreicher Impresario, der im Hintergrund die Fäden zog, um Ruhm und Ruf seines neuen Schützlings zu mehren.

Trotz des schleppenden Absatzes seines ersten Albums entwickelte sich Dylan zu einem ernstzunehmenden Künstler, der an der Seite von Pete Seeger für zahlreiche Auftritte außerhalb New Yorks engagiert wurde. Durch die Verbindung von politischem Realismus und Poesie schuf er die Form des Singer-Songwriters. Selbst in Großbritannien sprach man von dem zerzausten Musiker mit der kratzbürstigen Stimme, und als Dylan im Dezember 1962 erstmals nach London flog, wurde er dort von Medien wie Publikum gleichermaßen als neuer Hoffnungsträger des Folk begrüßt.[54] Für sein erstes großes Solokonzert am 12. April 1963 in der Town Hall erntete Dylan ausschließlich positive Kritiken („Dylan ist aus dem Stoff, aus dem Legenden sind“).[55]

Sein Mentor John Hammond verlor Dylans Karriere nicht aus den Augen und ermutigte ihn zu weiteren Studioaufnahmen für sein zweites Album. The Freewheelin’ Bob Dylan wurde im Mai 1963 veröffentlicht und markierte den entscheidenden Durchbruch in seiner Karriere. Es enthält neben einfachen, aber umso eindringlicheren Liebesliedern vor allem sozialkritische Songs, die sich auf aktuelle politische Ereignisse bezogen.[56] Das Album war kommerziell erfolgreich und fand vor allem in Großstädten und im studentischen Umfeld große Aufmerksamkeit. Auch renommierte Blätter wie The New Yorker oder das Time-Magazine feierten seinen Durchbruch als Songschreiber.[57]

Die Arm in Arm mit Dylan auf dem Cover der LP abgebildete Frau ist seine damalige Freundin Suze Rotolo. Insbesondere das Lied Blowin’ in the Wind begründete Dylans Ruf als Songschreiber und politischer Folksänger. Dylan traf den Nerv der Zeit und das Lied wurde – wenn auch zunächst in der Interpretation von Peter, Paul and Mary – zur pazifistischen Hymne einer ganzen Generation. In dem wütend-eindringlichen Masters of War verfluchte Dylan den militärisch-industriellen Komplex.

Das unter dem Eindruck der Kubakrise verfasste apokalyptische A Hard Rain’s A-Gonna Fall deutete bereits auf sein außergewöhnliches literarisches Talent hin und begründete seinen Ruf, ein Genie zu sein.[58] Dylans begeisternder Auftritt beim Newport Folk Festival im Juli 1963 galt als Höhepunkt der Veranstaltung und festigte seine Stellung als führender Folksänger. Hier spielte er auch einige Songs mit Joan Baez, und die ganze Szene sprach offen vom „King und der Queen der Folkmusik.“[59]

Seine Freundin Suze Rotolo gewann in der Zeit der ersten Erfolge einen kritischeren Blick auf Dylan:

„Der Erfolg [verwandelt] meinen Freund mehr und mehr in einen Egozentriker. […] Die Persönlichkeit verändert sich, sobald sie allen ein Begriff wird. Sie entwickeln eine unkontrollierbare Egomanie. […] Dies kann auch bescheidensten und demütigen Personen passieren […], es macht Klick und plötzlich kann diese Person nichts mehr wahrnehmen außer sich selbst. […] Jeden Tag wird es schlimmer.“

Suze Rotolo

Nach Newport ging Dylan als Gastsänger von Joan Baez – die bereits zu jener Zeit so bekannt war, dass sie leicht größere Hallen füllen konnte – ab dem 3. August 1963 auf seine erste große Tournee durch die Vereinigten Staaten. Dylan sang auf diesen Konzerten, wo Baez ihn voller Begeisterung dem Publikum vorstellte, einige Duette und ging später auch eine Liebesbeziehung mit ihr ein. Doch erst nach der endgültigen Trennung von Suze Rotolo im März 1964 traten die beiden in der Öffentlichkeit als Paar auf.

Für Dylan bedeutete diese Tour und die Verbindung mit Baez eine enorme Steigerung seiner Bekanntheit. Auch finanziell lohnte sich die Tour – Manager Grossman hatte für ihn eine größere Beteiligung an den Einnahmen als für Baez ausgehandelt, obwohl sie der Star der Tour war. Nicht zuletzt unter Baez' Einfluss ließ sich Dylan von der politischen Stimmung dieser Tage mitreißen und trat am 28. August 1963 bei der Abschlusskundgebung des Civil Rights March nach Washington auf, bei der Martin Luther King seine berühmte Rede I Have a Dream hielt.

Die unter der Leitung von Tom Wilson in zwei Blöcken aufgenommene LP The Times They Are a-Changin’ knüpfte inhaltlich an den Vorgänger an und lieferte kraftvolle Beiträge zum Thema Rassendiskriminierung und mit With God on Our Side eine Paradenummer der Antikriegsbewegung. Unter dem Eindruck der sozialen Unruhen und dem Attentat auf John F. Kennedy radikalisierte sich das kritische Potenzial der amerikanischen Gesellschaft. Gerade für diese Kritiker lieferte Dylan engagierte Protestlieder und mit dem Titelsong schrieb er eine obligatorische Schlachthymne.[60]

Dylan untermauerte seinen Ruf als „Sprachrohr und Stimme einer ganzen Generation.“ Das Folkmagazin Sing Out! erhob ihn schließlich zum Propheten und setzte den erst 23 Jahre alten Dylan auf den Thron der Bürgerrechtsbewegung.[61] Dylan selbst lehnte die ihm zugedachte Rolle des Idols ab und seine rasch wachsende Distanz zur Protestszene zeigte sich erstmals bei der Verleihung des Thomas Paine-Awards durch das National Emergency Civil Liberties Committee[62]:

„Sie reden von schwarz und weiß, sie reden von Hautfarben, von rot von blau und gelb, aber ich sehe das alles nicht. Sie reden von rechts und links, aber auch das kann ich nicht sehen. Ich sehe nur oben und unten, und unten ist da, wo der Fußboden ist. Ich pfeife auf Politik, mich interessiert der Mensch.“

Bob Dylan, 13. Dezember 1963

Die Begeisterung vom Sound der Band The Beatles und die endgültige Trennung von Rotolo beflügelten Dylans kreativen Prozess, alte Songschemata abzulösen und neue Wege des Liederschreibens zu entdecken.[63] In einer einzigen Aufnahmesession spielte er im Juni 1964 alle Songs für seine neue LP Another Side of Bob Dylan ein. Deren inhaltlicher Schwerpunkt lag auf dem Thema Beziehung und ließ klare Botschaften vermissen. Mit der LP schloss Dylan die künstlerische Lebensphase ab, die ihn an die Spitze der politisch engagierten Folkbewegung geführt hatte.

Die Hinwendung zu poetischen Liedformen symbolisierte den kreativen Umbruch des Künstlers.[64] Bei Teilen der Folkszene sorgte das Album für Befremden. So veröffentlichte Irwin Silber in Sing Out! einen offenen Brief an Dylan, in dem er seiner Sorge Ausdruck verlieh, der Sänger drohe durch die Begleitumstände von Ruhm und Erfolg den Kontakt zur Basis zu verlieren, was auch in seinen neuen Liedern zum Ausdruck komme.[65]

1965–1966: Beginn als Rockmusiker

Bob Dylan neben Mitmusikern im April des Jahres bei der Ankunft auf dem Flughafen Stockholm/Arlanda im Rahmen seiner Welttournee 1966

Ab Mitte der 1960er Jahre ließ Dylan seine bis dahin fast ausschließlich solo und auf der akustischen Gitarre gespielte Musik elektrisch verstärken und hatte jetzt auch eine Begleitband. Ein Meilenstein dieses Wechsels war 1965 sein Auftritt beim Newport Folk Festival mit Musikern der Paul Butterfield Blues Band,[66] der bei den puristischen Freunden der Folkmusik heftige Kritik auslöste. Ein Teil des Publikums reagierte mit Buhrufen auf die „elektrische“ Version von Maggie’s Farm. Auch hinter der Bühne spielten sich dramatische Szenen zwischen den Vertretern der klassischen Folktradition und der „elektrifizierten“ Musik ab. Nach drei Stücken ging Dylan mit der Band von der Bühne ab, wurde aber von Moderator Peter Yarrow zurückgebeten; er spielte dann noch zwei Stücke in gewohnter Manier solo mit Akustikgitarre und Mundharmonika. Diese Ereignisse werden in der 2005 erschienenen Dokumentation No Direction Home – Bob Dylan von Martin Scorsese aufgearbeitet, in der unter anderem seine Jugendliebe Suze Rotolo zu Wort kommt, die sich über ihre Beziehung zu Dylan lange nicht öffentlich äußerte.

Auch auf der anschließenden Europatournee, bei der er sich von den Musikern begleiten ließ, die später unter dem Namen The Band bekannt wurden, stieß seine elektrisch verstärkte Musik teils auf heftige Ablehnung, vor allem in England. 1966 wurde er bei einem Konzert für seinen vermeintlichen „Verrat“ an der Folkmusik gar als „Judas“ beschimpft (zu hören auf The Bootleg Series Vol. 4: Live 1966 (1998)). Während dieser Tournee wurde es beinahe zu einem Ritual, dass das Publikum Dylan und seine Band ausbuhte. Dylan selbst forderte bei dem besagten Konzert seine Band dazu auf, besonders laut zu spielen.

Dylan wurde zum Rockstar, der Millionen von Schallplatten verkaufte und von Teilen der sich zunehmend politisierenden Gegenkultur als Sprachrohr betrachtet wurde. Er litt nun jedoch zunehmend unter dem Erfolgsdruck. Viele seiner alten Fans nahmen ihm seine Hinwendung zur Rockmusik übel und reagierten geradezu feindselig. Andere versuchten, ihn für sich zu vereinnahmen. Die Presse begann einerseits, ihn auf die Rolle des Idols einer Generation festzulegen, andererseits des Verrats an den Idealen der Folkbewegung zu bezichtigen. Wenn Journalisten ihn auf Pressekonferenzen durch suggestive Fragen in die Enge zu treiben versuchten, gab Dylan meist schlagfertig und leicht arrogant wirkende, absurde Antworten und ließ sie ins Leere laufen. Gleichwohl war ihm die Anspannung aufgrund der Belastung durch das Tourneeleben und die Reaktion von Presse und Publikum deutlich anzumerken. Kurioserweise werden viele der spontanen Aussagen Dylans aus jener Zeit (etwa seine ironisch gemeinte Selbsteinschätzung als „Song and Dance Man“) bis heute angeführt.

Seinen Wandel vom Folksänger zum Rockmusiker vollzog er auf drei Alben, die er in kurzer Abfolge Mitte der 1960er Jahre veröffentlichte und die heute als Klassiker der Rockmusik gelten. Auf der zweiten Seite der LP Bringing It All Back Home befinden sich ausschließlich akustisch eingespielte Songs, die A-Seite der LP bestritt Dylan aber bereits mit einer Band. Die zwei folgenden Alben Highway 61 Revisited und die Doppel-LP Blonde on Blonde enthalten fast nur elektrisch verstärkte Rocksongs. Like a Rolling Stone von Highway 61 Revisited schaffte es 1965 auf Platz 2 der Billboard-Single-Charts. Das Lied wurde später von der Zeitschrift Rolling Stone zum „Greatest Song of All Time“ gekürt, und Greil Marcus schrieb 2005 ein Buch über dessen Entstehung.

Vor allem sprachlich erreichten seine Lieder auf diesen Platten eine bis dahin in der populären Musik unerreichte Komplexität. Seine Texte waren gespickt mit Metaphern und literarischen Verweisen, außerdem tauchten Anspielungen auf Drogenerfahrungen auf. Dylan war selbst drogenabhängig, er hat in den frühen 1960er Jahren Heroin konsumiert.[67] Typisch für diese Periode waren auch ausufernde, surrealistisch anmutende Wortspielereien, die Dylan in der Art des Stream of Consciousness verfasste. Solches dominiert auch das 1965 geschriebene und erst 1971 erschienene Buch Tarantula sowie die längeren Texte und Prosagedichte, die er gelegentlich auf den Rückseiten seiner LP-Cover veröffentlichte. Die berühmtesten davon sind die Eleven Outlined Epitaphs von 1964, die in den 1980er Jahren in deutscher Übersetzung von Carl Weissner auch in Buchform erschienen. Dylan wurde damals stark von den Dichtern der Beat Generation wie Jack Kerouac beeinflusst, mit Allen Ginsberg verband ihn ein freundschaftliches Verhältnis.

Ende 1965 heiratete Dylan das Fotomodell Sara Lowndes – die Hochzeit wurde vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Lowndes brachte eine Tochter aus erster Ehe in die Verbindung mit. So wurde Dylan im Alter von 24 Jahren plötzlich Familienvater: Nun schirmte er sein Privatleben erst recht strikt vor der Öffentlichkeit ab. Einer der bekanntesten der zahlreichen Songs, die er inspiriert von seiner Beziehung zu Sara schrieb, ist Sad-Eyed Lady of the Lowlands, der auf der Doppel-LP Blonde on Blonde eine der vier Plattenseiten einnimmt. Dies bekannte er nach der Trennung von seiner Frau 1975 quasi öffentlich mit dem Song Sara auf dem Album Desire. Dylan war und ist auch ansonsten äußerst zurückhaltend mit Angaben zu möglichen Adressaten seiner Lieder und Interpretationen der Inhalte seiner Texte.

Am 17. Mai 1966 spielte Dylan solo sowie unter Buhrufen mit Band im britischen Manchester das „legendärste Konzert seiner Laufbahn“ – „am Ende einer drogengepeitschten, auszehrenden Welttournee“ (-> Blonde on Blonde); dort hat z. B. ein Fan dem angeblichen „Verräter am wahren Folk“ „Judas“ zugerufen.[68] Bis Ende Mai 1966 folgten auf der Tournee noch sechs weitere Konzerte: in Schottland in Glasgow und Edinburgh, in Newcastle upon Tyne sowie in Paris und zwei in London in der Royal Albert Hall:[69][70][71][72] Das Konzert in Manchester coverte Cat Power im November 2022 ebenfalls live in der Royal Albert Hall; dieses Konzert wurde im November 2023 als Album veröffentlicht.[73][74]

1966–1973: Rückzug ins Privatleben

Am 29. Juli 1966 stürzte Dylan mit seiner Triumph Tiger auf einer Landstraße in der Nähe seines Wohnortes Woodstock und zog sich schwere, wenn auch nicht unmittelbar lebensbedrohliche Verletzungen zu. Neben mehreren leichten Kopfverletzungen waren mehrere Halswirbel gebrochen. In der Presse überschlugen sich die Gerüchte: Bob Dylan sei verunglückt und habe ein Ende wie James Dean gefunden; andere berichteten, er vegetiere nur noch vor sich hin, sei wegen seiner Drogensucht ein psychiatrisch unheilbarer Fall oder so stark entstellt, dass er sich nie mehr in der Öffentlichkeit zeigen könne. Wieder andere Stimmen glaubten zu wissen, dass Dylan einem Anschlagskomplott der CIA zum Opfer gefallen sei.[75]

Die Heilung verlief schleppend, da er sich wegen seines aufreibenden Lebensstils und seines Drogenkonsums in ohnehin schlechtem Gesundheitszustand befand. Dylan zog sich zur vollständigen Rekonvaleszenz für über ein halbes Jahr von der Öffentlichkeit nach Woodstock zurück und empfing nur wenige Vertraute wie D. A. Pennebaker oder Allen Ginsberg. Der Unfall, der ihn fast das Leben kostete, ermöglichte Dylan die Flucht aus dem Star-Dasein und die radikale Abkehr von einem Lebensstil, der bei ihm von einem übervollen und kräftezehrenden Terminkalender und seiner damals außerordentlichen künstlerischen Produktivität diktiert, nahezu eine komplette gesundheitliche und mentale Erschöpfung hervorgerufen hatte. Dylan bot sich das Alibi, sämtliche Brücken zur Öffentlichkeit abzubrechen und sein Leben völlig neu zu überdenken.[76]

„Ich hatte einen Motorradunfall gehabt und mich verletzt, aber ich erholte mich. In Wahrheit wollte ich der Tretmühle den Rücken kehren.“

Bob Dylan, Chronicles


Das Haus Big Pink in West Saugerties bei Woodstock

Nach dem Motorradunfall zog sich Dylan für zwei Jahre fast völlig aus der Öffentlichkeit zurück, wenngleich sich sein Ruhm gerade in der Zeit seiner Abstinenz sehr steigerte. Informationen über ihn und seine Arbeit flossen außerordentlich spärlich. Er lebte nun in Woodstock, einer Künstlerkolonie unweit von New York, und widmete sich vornehmlich seiner Frau Sara und den gemeinsamen Kindern. Im ersten Teil seiner Autobiografie Chronicles sagt er, dass er sich damals ein einfaches Leben mit einem geregelten Job gewünscht habe.

Erst im Mai 1967 gab Dylan wieder ein Interview für die Daily News, ließ seine Pläne offen und gab sogar Gerüchten über einen endgültigen Rückzug vom Musikgeschäft Nahrung.[77] Doch im Sommer 1967 verlängerte er seinen Plattenvertrag mit Columbia und begann wieder intensiv zu musizieren. Zusammen mit den Musikern seiner Begleitband, die sich inzwischen The Band nannten, nahm er in lockeren Sessions im Keller des angemieteten Bauernhauses Big Pink ein Sammelsurium teils fast vergessener Songs der US-amerikanischen Rootsmusik aus Blues, Folk und Country auf. Diese kursierten jahrelang als Bootlegs, bevor sie 1975 offiziell und stark gekürzt unter dem Titel The Basement Tapes veröffentlicht wurden.

Häufig werden die Lieder jener Zeit als Dylans Bekenntnis zu den Freuden des einfachen Lebens als Familienvater gedeutet, wohingegen viele seiner alten Fans ihm dafür erneut Verrat an den Idealen der Gegenkultur vorwarfen. Die Sessions brachten Dylan wieder zurück in den Musikbetrieb und nach einem Treffen mit Bob Johnston begann er mit dem Schreiben neuer Songs. Beeinflusst von den Basement Tapes und tief berührt vom Tod Woody Guthries wandte sich Dylan sehr einfachen Songstrukturen und Liedinhalten zu, die im Dezember 1967 auf dem Album John Wesley Harding erschienen.

In den folgenden Jahren trat Dylan nur vereinzelt auf. Er stand beim Woody-Guthrie-Memorial-Concert im Januar 1968 erstmals wieder auf der Bühne und steuerte vier Songs seines Idols bei. 1969 folgte ein Auftritt als Begleitmusiker von The Band, und während Dylan beim legendären Woodstock-Festival nicht auftreten wollte, war er im August Headliner des Isle of Wight Festivals. Er unterstützte den früheren Beatles-Gitarristen George Harrison bei dessen Konzert für Bangladesch, auf dem er im August 1971 im Madison Square Garden spielte.

Bei dem für seine Verhältnisse sehr gefälligen Nashville Skyline arbeitete er mit dem Country-Musiker Johnny Cash zusammen. Die LP wurde zu Dylans bis dahin größtem kommerziellen Erfolg. Dylan bereitete so der Akzeptanz der bislang teilweise als reaktionär verpönten Country-Musik im Rocklager den Boden und wurde – neben Buffalo Springfield / Neil Young, den Byrds und Gram Parsons – zu einem Wegbereiter des Country-Rock.

1969 wurde sein Sohn Jakob geboren, der heute selbst als Musiker arbeitet. Dylan hat außer ihm fünf weitere Kinder, darunter den Regisseur Jesse Dylan. Sein Doppelalbum Self Portrait aus dem Jahr 1970 erschien vielen Fans als eine lieblose Sammlung uninspirierter Songs und gilt als eine seiner schlechtesten Platten. Dylan selbst bezeichnete die Veröffentlichung später als den Versuch eines Befreiungsschlags, mit dem er die von ihm als bedrückend empfundene Erwartungshaltung seines Publikums zerstören wollte.

Danach veröffentlichte er zwei als respektabel, aber nicht herausragend angesehene Alben (New Morning und Planet Waves) und spielte eine kleine Rolle in Sam Peckinpahs Western Pat Garrett jagt Billy the Kid an der Seite von Kris Kristofferson und James Coburn. Er schrieb zudem die Musik zu diesem Film, darunter das ebenso hymnische wie desillusionierte Knockin’ on Heaven’s Door.

1974–1982: Scheidung und Hinwendung zum Christentum

Auftritt von Dylan (Mitte) mit The Band auf dem Last-Waltz-Konzert 1976

Mitte der 1970er Jahre begann Dylans private Idylle zu bröckeln, als seine Ehe in eine Krise geriet. Eine spektakuläre Comebacktournee (dokumentiert auf dem Doppelalbum Before the Flood Anfang 1974) war zwar binnen weniger Stunden ausverkauft und ein großer Publikumserfolg, die Kritiken fielen jedoch eher zwiespältig aus. Kritisiert wurde vor allem, dass er kaum neue Songs bringe und mehr „schreie als singe“. Auffallend war, dass er viele bekannte Lieder in völlig neuem musikalischen Gewand darbot und diese damit zwar einerseits revitalisierte, andererseits aber oft bis zur Unkenntlichkeit veränderte. Diese Herangehensweise an das eigene Werk hat Dylan bis heute beibehalten und sie ist zu einem Markenzeichen geworden. 1975 veröffentlichte Dylan Blood on the Tracks. Das Album wird seither als Dylans künstlerische Verarbeitung der Trennung von seiner Frau Sara interpretiert. Bob Dylan selbst hat jedoch immer wieder einen direkt