Udo Lindenberg, 2014
Lindenberg, 2005

Udo Gerhard Lindenberg (* 17. Mai 1946 in Gronau/Westfalen) ist ein deutscher Rockmusiker, Schriftsteller und Maler.

Nachdem er Ende der 1960er Jahre mit Bands und Musikern wie den City Preachers und Peter Herbolzheimer eine Karriere als Schlagzeuger begonnen hatte, konzentrierte er sich mit Beginn der 1970er Jahre zunehmend auf Gesang und das Schreiben eigener Titel. Als einer der ersten Rockmusiker präsentierte er Texte in deutscher Sprache und verhalf damit der deutschsprachigen Rockmusik in Westdeutschland zum Durchbruch. Seitdem entwickelte sich Lindenberg kontinuierlich zu einer führenden und prägenden Persönlichkeit in der deutschen Musikszene, und seine Tonträger erzielten vielfach Gold-Status. Zu seinen bekanntesten Werken gehören Alles klar auf der Andrea Doria, Cello, Wozu sind Kriege da?, Sonderzug nach Pankow, Horizont, Ich lieb’ Dich überhaupt nicht mehr, Die Klavierlehrerin, Ein Herz kann man nicht reparieren und Wenn Du durchhängst. Mit seinem 34. Studioalbum Stark wie Zwei stand er 2008 im Alter von 62 Jahren zum ersten Mal in seiner Karriere auch an der Spitze der deutschen Charts. Weiter ist seine Zusammenarbeit mit Apache 207, Komet, mit 21 Wochen das am häufigsten auf Rang eins platzierte Lied seit Einführung der wöchentlichen Singlecharts 1971.

In den 1980er Jahren widmete sich Lindenberg neben seinem musikalischen Schaffen zunehmend dem Thema innerdeutsche Beziehungen. Trotz großer Bemühungen blieb es ihm jedoch verwehrt, mit seinem Panikorchester in der DDR aufzutreten – abgesehen von einem überwachten Auftritt, der 1983 vor ausgewähltem FDJ-Publikum im Ost-Berliner Palast der Republik stattfand. Eine für 1984 bereits geplante Tournee wurde von der Staatsführung der DDR wieder abgesagt. Später kam es zu einem medienwirksamen Austausch von Geschenken, als Lindenberg 1987 Erich Honecker eine Lederjacke schickte, von diesem im Gegenzug eine Schalmei erhielt und Honecker schließlich anlässlich dessen ersten Besuchs in der Bundesrepublik Deutschland eine mit dem Slogan Gitarren statt Knarren beschriftete E-Gitarre überreichte.[1][2]

Seit den 1990er Jahren tritt Lindenberg auch als Maler in Erscheinung. Einer ersten Ausstellung 1996 folgten zahlreiche weitere, unter anderem 2005 mit dem Titel Keine Panik. Udo Lindenbergs bunte Republik im Haus der Geschichte in Bonn. Seine Werke fanden zunehmend Beachtung und befinden sich unter anderem im Berliner Bundeskanzleramt. Im Jahr 2010 gab das Bundesministerium der Finanzen zwei von ihm gestaltete Sondermarken heraus.

Lindenberg erhielt für sein Gesamtwerk zahlreiche Auszeichnungen. Er lebt seit 1968 überwiegend in Hamburg. Seit Juli 2016 ist er Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Gronau/Westfalen,[3] seit September 2022 Ehrenbürger von Hamburg.[4]

Leben

Herkunft und Jugend

Udo Lindenberg wurde als Sohn von Hermine und Gustav Lindenberg, einem Installateur, geboren und wohnte bis zu seinem 15. Lebensjahr in Gronau (Westf.).[5] Er hat drei Geschwister, den älteren Bruder Erich Lindenberg (1938–2006), der Maler war, sowie die jüngeren Zwillingsschwestern Erika und Inge Lindenberg.

Bereits in seiner Kindheit zeigte sich bei Lindenberg ein ausgeprägtes Rhythmusgefühl, und er nahm jede Gelegenheit zu trommeln wahr. Sein erstes Schlagzeug bestand lediglich aus Benzinfässern. Mit 15 Jahren begann er eine Ausbildung zum Kellner im Düsseldorfer Hotel Breidenbacher Hof und spielte in Altstadtkneipen als Schlagzeuger. In einem Interview schilderte er seinen ursprünglichen Lebenstraum, als Kellner auf Kreuzfahrtschiffen anzuheuern (Zitat: „Mein Traum waren immer die dicken Pötte“).[6]

Es folgten unstete Jahre, die ihn über Norddeutschland und Frankreich nach Libyen führten. Er bekam Kontakte zu Jazzmusikern wie Gunter Hampel. 1963/1964 spielte er, erst 17-jährig, mit Gerold Flasse und anderen Musikern ein Jahr lang nahe Tripolis in Clubs eines US-amerikanischen Luftwaffenstützpunktes, der Wheelus Air Force Base – heute der Mitiga International Airport. Nach seiner Rückkehr begab er sich zunächst in seiner Heimatstadt Gronau in therapeutische Behandlung, um die Erlebnisse in Libyen zu verarbeiten. Anschließend begann er ein Studium an der Westfälischen Schule für Musik in Münster. Dort spielte er mit Steffi Stephan in der Band Die Mustangs (auch: Nico und die Mustangs) und half auch in Stephans Band Birds aus. Nach dem Wehrdienst als Kanonier bei der Raketenartillerie in Wesel[7] ging Lindenberg 1968 nach Hamburg, wo er noch im gleichen Jahr Schlagzeuger der Gruppe City Preachers wurde, der ersten Folk-Rock-Band Deutschlands. Mit Jean-Jacques Kravetz und Hannelore Mogler verfolgte er in der Formation Kravetz und Lindenberg erstmals eigene musikalische Ambitionen. Ihre Plattenaufnahmen wurden von Kravetz unter dem schlichten Titel Kravetz veröffentlicht.[8]

Privates

In den 1970er Jahren wohnte Lindenberg unter anderem mit Otto Waalkes, Marius Müller-Westernhagen, Steffi Stephan und Günter Fink in der Künstler-Wohngemeinschaft Villa Kunterbunt in Hamburg-Winterhude.[9][10] Zu dieser Zeit lernte er „das Mädchen von Ost-Berlin“ kennen, dem er sein Lied Wir wollen doch einfach nur zusammen sein widmete und aus deren Verbindung ein gemeinsamer Sohn entstammt.[11]

In den 1980er Jahren hatte Lindenberg eine einjährige heimliche Affäre mit der Popsängerin Nena.[12] 1989 erlitt er einen Herzinfarkt.[13] Seit Mitte der 1990er Jahre lebt er im Hotel Atlantic[14] in Hamburg-St. Georg.[15][16] Im März 2020 zog er wegen der Corona-Pandemie vorübergehend aus.[17] Seit 2012 hat er einen Zweitwohnsitz am Potsdamer Platz in Berlin.[18]

Seit Ende der 1990er Jahre ist Lindenberg mit der Fotografin Tine Acke liiert.[19][20][21]

In dem 2018 bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Buch Udo von Udo Lindenberg und Thomas Hüetlin wird der Tod des Bruders, Erich Lindenberg, im Jahr 2006 als entscheidender Wendepunkt im Leben von Lindenberg beschrieben. Er widmete ihm 2008 auch seinen Titel Stark wie Zwei.[22]

Politisches und soziales Engagement

Udo Lindenberg ist ein politisch aktiver Mensch. Er bekennt sich zur Sozialdemokratie und trat schon auf einer Geburtstagsfeier des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder auf. Er engagierte sich für die Afrikahilfe bei seiner Mitwirkung beim deutschen Beitrag Nackt im Wind für das Projekt Live Aid sowie mit dem Benefiz-Song für Afrika Grüne Mauer.

Immer wieder ist er an Projekten gegen den Neonazismus beteiligt und gründete 2000 sein Projekt Rock gegen rechte Gewalt.[23] Am 2. Dezember 2011 trat er – nach Aufdeckung der NSU-Mordserie – als Mitveranstalter zusammen mit Peter Maffay, Julia Neigel, Clueso und Silly beim Protestfestival Rock ’n’ Roll-Arena Jena – Für die bunte Republik Deutschland vor 60.000 Menschen auf.[24]

Am 10. Dezember 2006 gründete er die Udo-Lindenberg-Stiftung, um sich dauerhaft kulturpolitisch, humanitär und sozial zu engagieren und um Hermann Hesses Dichtkunst mit Musik von heute zu verbinden. Die Stiftung fördert deutschsprachige Nachwuchsbands mit regelmäßigen Panikpreis-Wettbewerben, veranstaltet das Hermann-Hesse-Festival und unterstützt soziale Projekte in Afrika sowie in Deutschland.

Seit 2015 unterstützt Udo Lindenberg die Umweltschutzorganisation Greenpeace als Botschafter für den Schutz der Arktis und im Kampf gegen die Klimakrise. Greenpeace begleitet den Sänger seitdem regelmäßig auf Tour – mit Infoständen von Greenpeace-Aktivisten und Bühnenauftritten der beiden Eisbärkonstruktionen Paula und Nanuk.[25] 2020 kritisierte Udo Lindenberg in einem gemeinsam mit Greenpeace produzierten Video Clemens Tönnies für die Zustände in dessen Fabriken und rief zur Unterzeichnung eines offenen Briefes gegen Billigfleisch an Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf.[26]

Oft hat er mit anderen Künstlern gemeinsame Projekte gestaltet, so mit Ulla Meinecke, Die Prinzen, Nena, Zeus B. Held (ex-Birth Control) oder Freundeskreis, Lukas Hilbert, Mellow Mark, Jan Delay, Clueso, aber auch mit ausländischen Kolleginnen wie Alla Pugatschowa (Russland) oder Sezen Aksu (Türkei). Er trat mit internationalen Künstlern wie Eric Burdon, Helen Schneider, David Bowie, Alexis Korner und Gianna Nannini auf.

Karriere

1970er Jahre

Im Jahr 1969 gründete Lindenberg zusammen mit Peter Herbolzheimer die Band Free Orbit, mit der im Oktober 1970 seine erste Langspielplatte (LP) erschien (Lindenberg: Schlagzeug, Gesang bei sechs der zehn Titel). Außerdem arbeitete er zu dieser Zeit als Studio- und Gastmusiker, zum Beispiel bei Michael Naura und Knut Kiesewetter. Seine Qualitäten als Schlagzeuger ermöglichten Lindenberg 1970 in München eine Zusammenarbeit mit dem Jazz-Saxophonisten Klaus Doldinger. Bei Doldingers Formation Motherhood und auf dem Debütalbum der von Doldinger gegründeten Formation Passport spielte Lindenberg Schlagzeug. Auch bei der von Doldinger komponierten Titelmusik der ARD-Fernsehserie Tatort wirkte Lindenberg als Schlagzeuger mit. Die erste LP der Jazzrockformation Emergency, für die Lindenberg trommelte, war 1971 kein kommerzieller Erfolg. Als Schlagzeuger wirkte er auch an den beiden ersten Platten von Niagara mit.

Die LP Lindenberg (ebenfalls 1971 und noch englisch gesungen, mit Steffi Stephan am Bass) floppte ebenfalls. Im Jahr darauf erschien die erste deutschsprachige LP Daumen im Wind (produziert von Udo Lindenberg und Thomas Kukuck, die auch die nächsten fünf Alben zusammen produzierten), von der gerade mal 7000 Stück verkauft wurden; der Titel Hoch im Norden wurde jedoch als B-Seite der Single Sommerliebe in Norddeutschland ein Hit im Radio und machte Lindenberg überregional bekannt. Nach einer Tournee als Schlagzeuger der Band Atlantis brachte 1973 das nach dem 1956 gesunkenen Passagierschiff Andrea Doria benannte Album Andrea Doria mit den Hits Alles klar auf der Andrea Doria und Cello den kommerziellen Durchbruch; das Album verkaufte sich über 100.000 Mal. Lindenberg bekam recht schnell den ersten Millionenvertrag eines deutschsprachigen Rockmusikers. Im Einerlei der deutschen (insbesondere der deutschsprachigen) Musik zu Beginn der 1970er Jahre nahm Lindenberg eine Sonderstellung ein: Zwischen international ausgerichtetem Krautrock und Schlagern fand er eine Nische. Rockmusik auf Deutsch hatten vor ihm zwar auch schon Bands wie Ihre Kinder aus Nürnberg oder Ton Steine Scherben mit ihrem Sänger Rio Reiser produziert, doch die waren zu dieser Zeit vorwiegend politisch und sprachen eher ein Nischenpublikum an.

Lindenberg, 1974

Lindenbergs schnoddrige Art, alltägliche Geschichten zu erzählen (Bei Onkel Pö …), und sein nuanciertes Sprachgefühl waren dagegen bis dahin ungehört. In der Folge profitierten zahlreiche Musiker von Lindenbergs Pionierarbeit. So bekamen zum Beispiel Stefan Waggershausen und Marius Müller-Westernhagen ihre ersten Plattenverträge. Über die Urheberschaft der Sprüche Lindenbergs gab es später eine außergerichtliche Einigung mit dem langjährigen Saxophonisten Olaf Kübler. Lindenberg ging 1973 erstmals mit seinem „Panikorchester“ auf Tournee. Es folgten zahlreiche weitere Platten und Tourneen. Lindenberg erfand in diesen Jahren viele seiner Kunst- und Kultfiguren wie Rudi Ratlos, Elli Pyrelli und Bodo Ballermann.

Im Jahr 1975 erschien Lindenbergs erstes Buch Albert Alptraum bis Votan Wahnwitz. Auf dem Album Ball Pompös gelang es ihm, in seinen Liedtexten mit Wortwitz zeitgeistige Gesellschaftserscheinungen pointiert auf den Punkt zu bringen. Ein Beispiel hierfür ist das Lied Leider nur ein Vakuum, das bestimmte Verhaltensweisen der Jugendkultur satirisch beleuchtet. Riskante Spiele thematisiert Alkoholismus sowie Medikamenten- und Drogenmissbrauch, ohne dabei moralisch den Zeigefinger zu erheben. Auch im Nachfolgealbum Votan Wahnwitz wechseln die Liedtexte zwischen Ernst und Witz und werden durch einfallsreiche musikalische Strukturen überhöht. Beispiele hierfür sind die Lieder Der Malocher und Elli Pyrelli.

Das Jahr 1976 wurde für Udo Lindenberg zu einem seiner produktivsten. Neben der LP Galaxo Gang erschien unter dem Pseudonym „Das Waldemar Wunderbar Syndicat“ I make you feel good, eine erste Best of Panik Udo und die erste in einer Reihe von fremdsprachigen Veröffentlichungen: No Panic, auf der Lindenberg seine Lieder auf Englisch intoniert. Im gleichen Jahr (und auf einer weiteren LP: Sister King Kong) artikulierte Lindenberg in dem Lied Rock ’n’ Roll Arena in Jena zum ersten Mal die Forderung nach einer „Panik-Tournee“ durch die DDR. 1976 „entdeckte“ Lindenberg auch Ulla Meinecke und produzierte ihre ersten beiden Alben. Sie war als Gast und Songschreiberin auf der 1977er LP Panische Nächte und der 1978 erschienenen Dröhnland Symphonie zu hören. Auf Lindenbergs Rock Revue (1978) coverte er zusammen mit Horst Königstein Klassiker des Rock ’n’ Roll (von Little Richard über die Beatles bis zu den Rolling Stones) mit deutschen Texten und ging danach auf Tournee.

Die folgende „Dröhnland-Symphonie“-Tour wurde von Peter Zadek als Show mit großer Bühne, Multimedia und einer Vielzahl an kostümierten Statisten inszeniert. Als Ergebnis entstand Lindenbergs erstes Livealbum Livehaftig. Darauf befindet sich eine Coverversion des Songs We Gotta Get Out of This Place von Eric Burdon, mit dem Lindenberg 1979 durch Deutschland tourte. Im selben Jahr erschien mit Der Detektiv die zweite Rock-Revue, auf der weitere deutsche Coverversionen internationaler Hits wie Candle in the Wind von Elton John, Born to Be Wild von Steppenwolf, My Little Town und As Time Goes By (aus dem Film Casablanca) zu finden sind.

Udo Lindenberg bewohnte in Hamburg-Winterhude die „Villa Kunterbunt“ im Rondeel 29, in der er zeitweise auch mit Otto Waalkes und Marius Müller-Westernhagen in einer WG lebte.[27][28][29] Lindenbergs Alliterationen inspirierten Waalkes zu Figuren wie Harry Hirsch, Susi Sorglos und anderen.[30]

1980er Jahre

Lindenberg, 1987

1980 produzierte Lindenberg den Film Panische Zeiten, in dem er neben Karl Dall, Hark Bohm und Eddie Constantine als Schauspieler in einer Doppelrolle (als Detektiv Coolman und er selbst) zu sehen war. Die gleichnamige Platte erschien im selben Jahr, und auf der Tour gastierte Helen Schneider. 1981 erschien neben der Single Wozu sind Kriege da?, einem Duett mit Pascal Kravetz, dem zehnjährigen Sohn des Panikorchester-Pianisten, ein weiteres Buch Rock und Rebellion – ein panisches Panorama. Die LP Udopia wurde aufwendig und vielseitig zwischen hartem Rock und Chanson in Nassau und New York produziert.

Nach der ausgedehnten Tour mit Inga Rumpfs Reality erschien Anfang 1982 das Doppel-Livealbum Intensivstationen mit Mitschnitten der 1980er und 1981er Touren. Das letzte Album 1982 für seine langjährige Plattenfirma Teldec ist gleichzeitig das ungewöhnlichste. Keule wird auch als Lindenbergs Punkalbum betitelt. Neben minimalistischen Arrangements (Körper), brachialem Rock (Gesetz) und Texten voll beißender Gesellschaftskritik fällt vor allem das Cover mit Lindenberg als haarigem Neandertaler aus dem Rahmen. An den Aufnahmen für das Album waren auch die US-amerikanischen Musiker George Lynch (Gitarre), Juan Croucier (Bass) und Mick Brown (Schlagzeug), alle drei seinerzeit Mitglieder der Band Dokken, beteiligt.[31] 1983 übernahm Lindenberg neben Renan Demirkan und unter der Regie von Adolf Winkelmann die Hauptrolle im Film Super.

1983 wurde das Lied Sonderzug nach Pankow aus der LP Odyssee, eine Adaption von Harry Warrens Chattanooga Choo Choo, sein bis dahin größter kommerzieller Erfolg und löste eine Diskussion in der Regierung der DDR aus, da Lindenberg deutlich den Wunsch äußerte, in der DDR auftreten zu dürfen („All die ganzen Schlageraffen dürfen da singen…“). Bereits 1979 hatte Udo Lindenberg in einem Radiointerview des SFB seinen Wunsch zu einem Auftritt in der DDR vorgetragen, der aber vom Chefideologen Kurt Hager des SED-Politbüros intern strikt abgelehnt wurde. In den folgenden vier Jahren hatte sich das Meinungsbild aber derart verschoben, dass Kurt Hager umgestimmt wurde.

Am 25. Oktober 1983 durfte Udo Lindenberg schließlich doch im Palast der Republik in Ost-Berlin auftreten. Sein 15-minütiger Auftritt dort wurde vom DDR-Geheimdienst, dem Ministerium für Staatssicherheit, umfangreich überwacht.[32] Zum 30-jährigen Jubiläum dieses Ereignisses veröffentlichte die Stasi-Unterlagen-Behörde im Oktober 2013 eine 108-seitige Dokumentation.[33] Reinhold Beckmann, der das Ereignis als Tonassistent eines Kamerateams erlebte, produzierte mit Falko Korth den einstündigen Dokumentarfilm Die Akte Udo Lindenberg, der 2015 ausgestrahlt wurde.[34]

Götterhämmerung-Tour, 1984

Danach feierte Lindenberg im Westen sein zehntes Bühnenjubiläum in der ausverkauften Berliner Waldbühne. Die Tournee 1984 durch die DDR wurde trotz bereits geschriebener Hymne Hallo DDR! auf der 1984er LP Götterhämmerung von der dortigen Regierung abgesagt.[35] Ähnlich erging es im gleichen Jahr der Gruppe BAP.

Götterhämmerung überraschte ebenso wie der Vorgänger Odyssee durch neue Sounds. Disko-Funk (Commander Superfinger) verbindet sich dort mit schnoddrigen Texten mit hohem Aktualitätsbezug. Sie brauchen keinen Führer bezieht deutlich Stellung zum Thema Neonazis. 1985 konnte Lindenberg nach ausgedehnter Sündenknall-Tournee (LP im Frühjahr mit einer Coverversion von Ich brech’ die Herzen der stolzesten Frau’n) in Moskau auftreten. Bei diesem Konzert sang er das Stück Wozu sind Kriege da im Duett mit der bekannten russischen Sängerin Alla Pugatschowa. Sie änderte in ihrer Strophe die Textzeile „Und ich fürchte mich in diesem Atomraketenwald“ ab in „Ich fürchte mich in diesem Wald aus westlichen Raketen“ (russisch Ja bojus w lesu is sapadnych raket), so zu hören auf der LP Radio Eriwahn, deren A-Seite neue Studiotracks (Moskau) und die B-Seite Livemitschnitte aus den Moskauer Konzerten enthält.

1986 starb Gabi Blitz, die Wegbegleiterin und Privatsekretärin Lindenbergs und des Panikorchesters an einer Überdosis Drogen. Lindenberg widmete ihr die Ballade Horizont („Ein Paar wie Blitz und Donner…“) und landete damit einen weiteren großen Hit.[36]

Das dazugehörige Album Phönix ist weitgehend elektronisch dominiert und enthält (unter der Regie von Horst Königstein) vor allem Vertonungen von Texten von Bertolt Brecht und Lieder von Friedrich Hollaender in modernen Versionen. Die Nachfolge von Gabi Blitz übernahm 1987 Tom DeLuxe als Lindenbergs Tourneesekretär. Später folgte Udos Freund aus Gronau Herm Eiling. Zur Zeit der Wende und danach war Erwin Hilbert Lindenbergs Privatsekretär und Berater. Später übernahm Arno Köster die Aufgaben eines Sekretärs.

Rock am Ring, 1987

1987 schenkte Lindenberg Erich Honecker anlässlich dessen erstem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland in Wuppertal neben einer zuvor bereits postalisch übersandten Lederjacke eine E-Gitarre mit der Aufschrift Gitarren statt Knarren und erhielt im Gegenzug eine Schalmei.[37] Diese kam auf der Hymne auf den Generalsekretär vom Album Feuerland zum Einsatz. Die E-Gitarre war in einer retrospektiven Udo Lindenberg-Wanderausstellung zu sehen, die beispielsweise 2012 im Jagdschloss Augustusburg bei Chemnitz und 2015 im Porsche-Museum in Stuttgart gastierte. Die Lederjacke wurde für 7500 DDR-Mark an den ‚VEB Jugendmode‘ in Rostock versteigert und befindet sich im Kulturhistorischen Museum Rostock.[38] Für seine erste Tournee durch die DDR musste Lindenberg dennoch bis nach dem Mauerfall warten. Im Juni 1988 trat er zusammen mit zahlreichen Musikern, zum Beispiel Michael Jackson, Pink Floyd und Nina Hagen, beim Rockkonzert vor dem Reichstagsgebäude in West-Berlin auf. 1988 erschien in der Sowjetunion das Album Песни вместо писем/Songs Instead of Letters, das auf der einen LP-Seite vier Lieder der Künstlerin Alla Pugatschowa und auf der anderen Seite fünf Lieder von Lindenberg enthält.

Nach der Feuerland-Tournee kam es Ende 1987/Anfang 1988 zum Bruch zwischen Lindenberg und dem Panikorchester (siehe Abschnitt Begleitmusiker). Dessen Mitglieder bemängelten die zunehmend mit knalligen Show-Effekten aufgeladenen Bühnenauftritte und ein Nachlassen der musikalischen Qualität, besonders nach Hinzuziehung von Teenager-Musikern wie den beiden Paniksöhnen. Hinzu kam, dass der zum Deutschrocker gewandelte vormalige Schlagersänger Peter Maffay einige von Lindenbergs traditionellen Begleitmusikern in die eigene Band übernehmen wollte und ihnen dazu ein finanziell äußerst lukratives Angebot unterbreitete. Von Bedeutung für den Konflikt war außerdem Lindenbergs gesteigerter Alkoholkonsum, der das persönliche wie auch das professionelle Verhältnis zwischen ihm und dem Panikorchester belastete. Die Trennung von seiner bisherigen Begleitband machte sich für Lindenberg rasch negativ bemerkbar, indem der Ticketverkauf einbrach und er zeitweilig vor weniger Publikum in kleineren Spielstätten auftreten musste. Auch fielen aufgrund seines Alkoholproblems wiederholt Konzerte aus.[39]

Zur selben Zeit, Anfang 1988, widmete Lindenberg seiner Mutter Hermine die gleichnamige Platte, auf der er als Chansonnier Lieder aus der Zeit von 1929 bis 1988 intonierte. Auf dieser Platte findet sich auch die letzte Tonaufnahme von Marlene Dietrich; aufgenommen 1987 in ihrer Pariser Wohnung, die sie seit Jahren nicht mehr verlassen hatte, wurden die Bänder zu Lindenberg gebracht, der in einem nahen Café wartete. Auf Hermine finden sich neben Eigenkompositionen wiederum Lieder von Friedrich Hollaender, Theo Mackeben und Texte von Erich Kästner. Lindenberg setzte diese Tradition später mit der LP Gustav (seinem Vater gewidmet), dem Belcanto-Album und seiner Atlantic-Affairs-Revue fort. Auf der folgenden Feuerland-Revue 1988 prallten die Chansons und der harte Rock des Panikorchesters aufeinander. Danach ging man erst einmal getrennte Wege.

Das folgende Album CasaNova wurde komplett in London eingespielt und verzichtete größtenteils auf Rock zugunsten von Balladen und Schlüpfrigem, wie etwa Die Klavierlehrerin, seine Zusammenarbeit mit der Punksängerin Nina Hagen. Die englischsprachige Version wurde 2018 in dem Boxset Das Vermächtnis der Nachtigall 1983–1998 veröffentlicht. 1989 stellte Lindenberg mit El Panico seine erste Autobiografie vor. Kieran und Lukas Hilbert aus Tostedt, als Gäste bereits 1988 mit auf Tour, traten dem Panikorchester bei. Die Brüder übernahmen, unter dem Management ihres Vaters Erwin Hilbert, mit Trommler Jean Autret, Karl Allaut und Hendrik Schaper für mehrere Jahre die musikalische Begleitung Lindenbergs. Sie (ko-)produzierten zum Beispiel das Album Bunte Republik Deutschland, das pünktlich zum Mauerfall und nach einem überstandenen Herzinfarkt im November 1989 erschien.

1990er Jahre

Sonderzug nach Pankow

Im Januar 1990 konnte Lindenberg mit dem neuen Panikorchester im Zuge der politischen Wende erstmals auf Tournee durch die DDR gehen. Als Ergebnis wurde Live in Leipzig auf LP und Video gebannt. Für das Album Ich will dich haben (1991) (mit Kompositionen von Annette Humpe und Inga Humpe) erhielt Lindenberg abermals eine goldene Schallplatte. Lukas Hilbert wurde eine Zeit lang sein musikalischer Direktor. Dessen Vater Erwin Hilbert wirkte bei insgesamt zehn Lindenberg-Alben als Textberater und Studiosekretär mit. Lindenberg produzierte Lukas Hilberts erstes Soloalbum. In rascher Abfolge erschien weiter Album auf Album. Der große Erfolg blieb jedoch aus. Erste Videos liefen auf VIVA, so zum Beispiel:

  • Und ewig rauscht die Linde (1996), das rau und rockig und – im Gegensatz zu den Vorgängeralben – „dancefloorfrei“ produziert wurde von Franz Plasa (Echt/Selig) und die Wiedervereinigung des alten Panikorchesters auf der folgenden Tour mit sich brachte.
  • Belcanto, auf dem Lindenberg alte Hits und neue Lieder und das Deutsche Filmorchester Babelsberg im Chanson-Stil der 1920er und 1930er Jahre zueinander bringt.
  • You can’t run away, einer neuen Version des Lindenberg-Songs No Future, zusammen mit Freundeskreis und produziert von 3P

Am 25. Januar 1992 fertigte er im Rahmen des Rockmarathons zur Rettung von Jugendradio DT64 einen Sonderzug nach Pankow, der von Fans aus Sachsen zur Fahrt von Leipzig nach Berlin gemietet war, ab.

Udos Likörelle

Neben seinen musikalischen Tätigkeiten trat Lindenberg auch zunehmend als Maler in Erscheinung. 1996 hatte er seine erste Ausstellung, viele weitere folgten. Im Dezember 2002 stellte er, inspiriert und koordiniert von Erwin Hilbert,[40] seinen Bilderzyklus Die 10 Gebote in der Hamburger St.-Jacobi-Kirche aus. Nach der am 29. April 2005 eröffneten Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn folgten in Zusammenarbeit mit den Galerien Walentowski Ausstellungen seiner Werke in Werl (Eröffnung am 6. November 2005) und Dresden (18. Februar 2006). Als Vernissage der Walentowski-Galerie Udo Lindenberg & more in der neuen Europa Passage, Hamburg, begann diese mit einer Udo-Lindenberg-Ausstellung. Zudem erschienen Bildbände über Lindenbergs Werke. Arbeiten des Strichers aus St. Pauli, wie er sich ab und zu selbst bezeichnet, befinden sich im Kanzleramt und im Haus der Geschichte. Seine Likörelle – Malereien, eingefärbt mit alkoholischen Getränken – sind ebenso skurril wie der Ejakulator, wo mithilfe eines Schlagzeugs die Leinwand vollgespritzt wird.

2000er Jahre

Musikalisch machte Lindenberg 2002 mit seiner Revue